Die Klimakrise schlägt zu. Zu Land, wo der ausbleibende Regen Ackerboden zu Wüsten macht. Und zu Wasser, wo große europäische Ströme plötzlich knöchelhoch durchwatbar werden. Manchmal auch, wo Land zu Wasser wird und große Fluten plötzlich alles mitreißen, was wir vorher in die Flussbetten und Auen gebaut haben. Ich habe die Bilder aus dem Ahrtal noch vor Augen. Genauso die der ausgetrockneten Loire diesen Sommer. Und auch die der Oder, mit hunderten Tonnen toter Fische vor einigen Wochen. Ein Extrem folgt dem nächsten. Das ist anstrengend, traurig, frustrierend und ermüdend. Hört es bald wieder auf? Ich meine: solange wir mit unseren Flüssen umgehen wie die Axt im Walde, eher nicht. Aber der Reihe nach.
Flüsse haben vielfältige und wichtige Funktionen. Wir fahren auf ihnen, kühlen Kernkraftwerke mit ihnen, nutzen ihre Kraft zur Stromerzeugung. Entnehmen Fische, Trinkwasser und Brauchwasser, wir leiten Abwasser in sie ein… Die Liste ist lang. Damit das möglichst überall zuverlässig, standardisiert und jederzeit funktioniert, haben wir die Flüsse ganz schön in die Mangel genommen: eingedeicht, begradigt, ausgebaggert, aufgestaut und ausgeleitet. Viele Flüsse sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Und das macht sie krank.
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Ein Mensch, der sich bis zum Limit in unserer Leistungsgesellschaft verausgabt, ist anfälliger für Infekte. Ein Fluss, den wir für die maximale Ausbeute seiner Dienste an uns in unserer industriellen, hochtechnisierten Weise ausquetschen wie eine Zitrone, hat ebenfalls ein geschwächtes Immunsystem. Und Flusskrankheitserreger wie ausbleibender Regen, sehr viel Regen oder Hitzeperioden haben dann leichtes Spiel und geben dem geschwächten Fluss den Rest. Der Rest, das ist zum Beispiel ein Fischsterben, welches im Zusammenspiel von gestautem Wasser und Abwassereinleitungen in der Oder auftrat.
Es ist längst klar, was unsere Gewässer brauchen
Therapieansätze für kranke Flüsse gibt es reichlich. Sie liegen in Form der Wasserrahmenrichtlinie in den Schubladen jeder Wasserbehörde in Europa. Angewendet werden sie bisher jedoch nur unzureichend. Um das zu ändern ist der Internationale Tag der Flüsse wichtig, der Ende September gefeiert wird! Lasst uns den Flüssen die Aufmerksamkeit zukommen, die sie verdienen. Lasst uns Flüsse feiern, ihre natürliche und wunderschöne Unordnung, ihre dynamische Wasserführung, Wassertiefe, Breite und Fließgeschwindigkeit.
Stellt euch vor, jedes Blutgefäß in unserem Körper hätte ein von Blutbauingenieuren normiertes Standardmaß; wir wären nicht überlebensfähig. Ähnlich geht es den Flüssen, den Lebensadern unseres Planeten. Wo es möglich ist, müssen wir den Flussbetten ihren Raum und dem Flusswasser seine Zeit zurückgeben, durch die Landschaft zu fließen. Und wo diese Strukturen und Prozesse noch existieren, müssen wir sie schützen.
Flüsse heilen, nicht noch mehr schädigen!
Es ist richtig und wichtig den Ausbau der Erneuerbaren Energien jetzt mit hoher Priorität voranzutreiben, um die verheerenden, jetzt schon sehr sichtbaren Folgen der Klimakrise zu begrenzen. Warum in dem Zusammenhang jedoch auch der Kleinstwasserkraft ein „überragendes öffentliches Interesse“ eingeräumt wird, wie unlängst vom Bundestag beschlossen, bleibt mir unklar. Viele dieser Anlagen liegen in Kaskaden direkt hintereinander. In Flüssen, die so klein sind, dass sie bereits jetzt schon mit Trockenheit zu kämpfen haben. Im Sommer erwärmen sie sich stark, Sauerstoffmangel und Austrocknung drohen. Dem kranken System droht der Infarkt. Für einen Betrag von weniger als einem halben Prozent der deutschen Stromproduktion.
Einem Arzt, der einem unter akutem Blutverlust im linken Arm leidenden Menschen therapeutisch intakte Blutgefäße im rechten abklemmt, würde man wahrscheinlich seine Approbation entziehen. Und mit der gleichen Logik, dem gleichen Bewusstsein und dem gleichen Herz sollten wir auf die Gesundheit unserer Flüsse achten. Sie vor Krankheiten schützen. Sie im Krankheitsfall bei der Heilung unterstützen. Und sie damit für die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten, denn am Ende profitieren alle davon: Die Flüsse, die mit ihnen verbundenen Ökosysteme und auch wir.
Viele haben das bereits verstanden und damit begonnen – das feiere ich.
Hilft uns Atomkraft über den Winter? Wir sagen: Nein. Und wir haben gute Gründe, die gegen jede verlängerte Nutzung von Atomkraft in Deutschland sprechen.
Fraglos: Durch den russischen Angriffskrieg befinden wir uns in einer veränderten energiepolitischen Situation. Deutschland muss die Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern so schnell wie möglich beenden. Wir erleben stark ansteigende Gas- und Energiepreise, eine große Verunsicherung in der Bevölkerung und der Industrie sowie die Sorge vor drohenden Energieengpässen. Um Energieknappheit vorzubeugen, werden bereits stillgelegte Kohlekraftwerke übergangsweise wieder ans Netz genommen.
Verschiedene Parteien und Akteure fordern nun auch noch eine Laufzeitverlängerung der drei sich noch am Netz befindenden deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland.
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Hier sind die besten Gründe, warum eine verlängerte Nutzung der Atomkraft Quatsch ist und auf welche anderen Lösungen Deutschland stattdessen setzen sollte.
1.) Atomkraft kann Gas kaum ersetzen
Erdgas wird zum größten Teil zur Wärmerzeugung genutzt und kann damit nicht ohne weiteres durch Atomstrom ersetzt werden. Insgesamt könnte lediglich etwa ein Prozent des russischen Gases durch den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke eingespart werden. Deswegen wäre der Beitrag einer AKW-Laufzeitverlängerung zur Energieunabhängigkeit extrem gering.
Die Brennelemente in zwei der AKWs sind auf das Ende ihrer Laufzeit in 2022 ausgelegt. Die Beschaffung neuer Brennelemente könnte mindestens ein Jahr dauern. Alternativ können die verbleibenden Atomkraftwerke in einen sogenannten „Streckbetrieb“ gehen, in dem die Brennstäbe etwas länger genutzt werden. Allerdings muss hierfür ihre Leistung senken. Mit einem solchen Streckbetrieb könnten die Atomkraftwerke bis ins Frühjahr 2023 betrieben werden, würden insgesamt in der Summe allerdings nicht mehr Strom produzieren als im Betrieb bis Ende 2022. Es würde sich somit lediglich um eine zeitlich verschobene Stromproduktion handeln. Ein gewinnbringender Mehrwert ist nicht gegeben.
4.) Atomkraft braucht Gesetzesänderung
Die Atomkraftwerke müssen laut Atomgesetz bis Jahresende 2022 ihren Betrieb beenden. Für die verlängerte Nutzung braucht es eine Gesetzesänderung. Ein Weiterbetrieb käme einer Neugenehmigung durch den Bundestag gleich. Für diese Genehmigungen muss eine öffentliche Konsultation stattfinden sowie neue wissenschaftliche Gutachten erstellt werden. Unter (verfassungs-)rechtlichen Gesichtspunkten erfordert eine Laufzeitverlängerung eine neue, umfassende Risiko- und Güterabwägung des Gesetzgebers. Dies sind zum Teil sehr langwieriger Prozesse.
5.) Weiter ungeklärt: Was passiert mit dem Atommüll?
Bis 2031 muss laut Gesetz ein Endlager-Standort gefunden sein. Das hält aber nicht nur der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung Wolfram König jedoch für unrealistisch. Alle bisherigen Zwischenlager haben nur zeitlich begrenzte Sicherheitsgarantien. Die radioaktiven Abfälle bedeuten große gesamtgesellschaftlichen Kosten — und Risiken. Das Problem wird durch eine Laufzeitverlängerung nur größer, die Kosten werden auf kommende Generationen abgewälzt.
6.) Atomstrom ist eben nicht ökologisch
In der gesamten Wertschöpfungskette von Atomstrom wird eine erhebliche Menge Energie benötigt, zum Beispiel beim Uranabbau und der Atommüllendlagerung. Atomkraft ist also keineswegs CO2- neutral. In Frankreich werden die schädlichen Umweltauswirkungen von Atomreaktoren gerade an der kritischen Kombination mit der Erderhitzung deutlich: Während der stark zunehmenden Hitzewellen müssen die französischen Atomreaktoren stärker gekühlt werden. Dies geschieht mit dem Wasser aus bereits hitzegeplagten Flüssen, die sich dadurch noch weiter aufheizen und stärker austrocknen – mit gravierenden Folgen für das gesamte Ökosystem.
8.) Es gibt umweltfreundlichere, sichere und günstigere Alternativen
In Europa ging die Erzeugung von Atomstrom von 2005 bis 2020 um ein Viertel zurück. Und auch weltweit wurden seit 2000 kaum neue Kraftwerke gebaut. Stattdessen stieg die installierte Leistung von Windenergie und Photovoltaik deutlich an. In der EU wurden seit der Jahrtausendwende 167 Gigawatt Windenergieleistung und knapp 150 Gigawatt PV-Kapazität zugebaut. Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise muss das noch deutlich, deutlich verstärkt werden. Aber klar ist: Erneuerbare Energien sind die zukunftsfeste, sichere und klimafreundliche Alternative zur Energiegewinnung. Auch jetzt müssen wir konsequent darauf setzen.
Wie immer man es auch wenden mag: Atomkraft kann keinen relevanten Beitrag zur Überbrückung der aktuellen Energiekrise leisten. Zahlreiche praktische, sicherheitsrelevante, finanzielle, rechtlich und politische Faktoren sprechen gegen einen Weiterbetrieb der Atomkraft. Gerade angesichts der nur sehr geringen Mengen an Atomkraft, die kurzfristig keinen relevanten Beitrag zur Überbrückung der Energiekrise leisten kann, muss der Schutz vor der Radioaktivität Priorität haben. Stattdessen sollte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und anderen Ländern darlegen, wie Energiesparmaßnahmen und erneuerbare Energien langfristig zu einer klimaneutralen Zukunft beitragen können — ohne radioaktiven Müll zu erzeugen.
„Wissenschaftler sind die neuen Rockstars“, Stephen Spielberg hat das schon vor Jahrzehnten erkannt und ihnen mit Indiana Jones ein filmisches Denkmal gesetzt. 40 Jahre später folgt mit „Into the Ice“ eine etwas andere, dokumentarische Hommage an die Wissenschaft.
Anders als bei Spielbergs Kassenschlager stehen hier keine Archäologen im Mittelpunkt, sondern die Stars sind Glaziolog:innen, die an ihre Grenzen gehen. Und darüber hinaus. Wie einst Harrison Ford auf der „Jagd nach dem verlorenen Schatz“, versuchen die Forscher dem scheinbar ewigen Eis Grönlands seine Geheimnisse zu entreißen.
Das ist nicht weniger spannend als die fiktive Story aus Hollywood. Und die Erkenntnisse über die Klimakrise jagen nicht nur wegen der frostigen Umgebung so manchen kalten Schauer über den Rücken.
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Der dänische Dokumentarfilmer Lars Ostenfeld liefert phantastische Bilder aus einem der extremsten Landschaften der Welt und zeigt, dass es bei „Klimafilmen“ auch ganz ohne Eisbären geht. Die gibt es zwar in Grönland auch, doch hier steht die rätselhafte, einsame Welt aus Eis im Zentrum. Um die Gefahr der Erderhitzung zu verstehen, braucht der Filmemacher keine schockierenden Bilder von hungernden Eisbären oder panischen Walrossen. Die drastischen Eindrücke aus der „eisigen Hölle“ sind eindringlich genug.
Wissenschaft hautnah — inklusive Lebensgefahr
„Into the Ice“ begleitet die Wissenschaftler:innen Alun Hubbard, Dorte Dahl-Jensen und Jason Box bei ihren lebensgefährlichen Exkursionen tief in das schmelzende Herz der Klimakrise. Nur mit einem Seil gesichert, steigen sie in eine 180 Meter auf den Grund einer 80 Meter tiefen so genannten „Gletschermühle“, während von oben mehrere Meter große Eiszapfen in die Tiefe donnern. Die halsbrecherische Klettertour dient dazu, zu untersuchen, was mit dem Eis passiert, wenn Wasser hinein und unter das Eis sickert.
Einen anderen Ansatz verfolgt die Gletscherforscherin Dorte Dahl-Jensen kann. Sie kann durch Eiskernbohrungen 100.000 Jahre in die Vergangenheit blicken und bringt eine wichtige historische Perspektive auf den Klimawandel ein.
Das Bild wird komplettiert durch Jason Box und sein „Gespür für Schnee“. Der Forscher untersucht, ob zunehmender Schneefall auf der Eisdecke eine Bremse gegen das große Schmelzen sein könnte. Alle drei sind sich einig, dass der grönländische Eisschild der Schlüssel zum Verständnis für das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Anstiegs des Meeresspiegels ist. Was jetzt in Grönland passiert, kann helfen, vorherzusagen, was im Rest der Welt passieren wird.
„Into the Ice“, ein Dokumentarfilm nicht nur für heiße Sommerabende. Ab 15. September im Kino. Eindeutig empfohlen von mir — und dem WWF.
Die Deutschlandpremiere des Films wird am 24. August 2022 um 20 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs Lars Henrik Ostenfeld und Campino im Berliner Zoo-Palast stattfinden. Der Vorverkauf hat begonnen. Tickets bekommt Ihr hier.
Das Mittelmeer heizt sich so schnell auf wie kein anderes Meer. In diesem Sommer werden neue Rekorde gemessen. Die Folgen sind verheerend.
Das Mittelmeer erlebt gerade eine enorme Hitzewelle. Auch unter Wasser. Das Wasser ist diesen Sommer bis zu sechs Grad wärmer als in der Vergleichsperiode zwischen 1982 und 2011. Das Tyrrhenische Meer an der westlichen Küste Italiens ist so warm wie noch nie. Nahe der Äolischen Inseln vor Sizilien wurden 30 Grad Wassertemperatur gemeldet. Das ist krass, aber nicht wirklich überraschend.
Die Folgen sind unübersehbar. Viele Arten können sich an derartige Veränderungen nicht anpassen. Fast 1000 gebietsfremde Arten sind bereits neu ins Mittelmeer eingewandert und haben einheimische Arten verdrängt. Die extremen Wetterbedingungen machen das Meer immer saurer und salziger. Die empfindlichen Seegras- und Korallenbänke drohen zu verschwinden.
Europe is not just experiencing heatwaves on land.
The Mediterranean Sea is experiencing a brutal marine heatwave this July, which will have devastating impacts on marine ecosystems while also enhancing heatwaves on land.
Das Mittelmeer von heute ist nicht mehr das, was es einmal war. Es befindet sich sozusagen auf der Überholspur in die Klimakatastrophe. Ich empfehle unseren Bericht “The Climate Change Effekt in the Mediterranean: Stories from an overheating sea” , der die Hauptauswirkungen der Klimakrise auf die biologische Vielfalt des Meeres zeigt.
Kurz zusammengefasst: Im gesamten Mittelmeer verändern sich Lebensräume und Populationen enorm. Einheimische Mollusken wie Schnecken und Muscheln sind im Meer vor Israel um fast 90 Prozent zurückgegangen. Es gibt immer mehr Quallen. Allein schon über 600 tropische Fischarten wurden im Mittelmeer entdeckt. Die Folgen dieser Neuankömmlinge können verheerend sein.
Beispiel Feuerfisch: Die Invasion des Indischen Feuerfisch ist besonders zerstörerisch. Die gefräßigen Fische mit den langen, hochgiftigen Rückenstacheln verbreiteten sich seit ihrer ersten Entdeckung im Mittelmeer anfangs der 90er Jahren inzwischen bis in die Adria. Fressfeinde haben sie kaum, denn die wurden gnadenlos überfischt. Die Feuerfische fressen das Meer leer, die Bestände von Krustentieren und kleinen Fischen sinken dramatisch.
Beispiel Kaninchenfisch: Auch diese Spezies wanderte über den Suezkanal aus dem Roten Meer ein. Mittlerweile haben sie sich über die gesamte östliche Hälfte des Mittelmeers ausgebreitet. Kaninchenfische machen heute 80 Prozent der Fischfänge in der Türkei aus. Wo sie leben sind die Seegraswiesen nahezu vollständig aufgefressen. Stattdessen dominierten blanke Felsen. Das bedeutet dramatische Auswirkungen auf das gesamte marine Ökosystem, da die Seegraswiesen Lebensräume vieler Arten darstellen. Darüber hinaus sind sie wichtig für das Klima, da einige von ihnen als natürliche Kohlenstoffsenken fungieren.
Beispiel Edle Steckmuschel:Pinna nobilis ist die größte endemische Muschel des Mittelmeer und auch eine der größten der Welt. Sie kam früher häufig vor und war wichtiger Lebensraum für eine Vielzahl von Arten. Heute sind sie kurz vor dem Aussterben. Der Parasit Haplosporidium pinnae hat in den letzten Jahren nahezu alle Steckmuschelfelder im gesamten Mittelmeer vernichtet. Es wird angenommen, dass die hohen Wassertemperaturen dem Parasiten dabei geholfen haben sich so rasend auszubreiten.
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Realität Klimakrise im Mittelmeer
Die Klimakrise ist am und im Mittelmeer spürbare Realität. Wenn wir den Trend umkehren wollen, müssen wir die Erderhitzung stoppen. Aber wir müssen auch den menschlichen Druck durch Überfischung, Verschmutzung, Küstenentwicklung und Schifffahrt verringern. Wir müssen die ökologische Widerstandsfähigkeit des Meeres stärken. Gesunde Ökosysteme und eine blühende Artenvielfalt sind unser bester Schutz vor den Auswirkungen des Klimakrise. Gut verwaltete Meeresschutzgebiete können viel dazu beitragen, den Stress für das Meer so weit wie möglich zu reduzieren. 30 Prozent des Mittelmeeres müssen zu Meeresschutzgebieten werden. Das könnte die Überfischung stoppen, das gesamte System Meer bekäme eine Chance zur Erholung.
Als Neophyten werden üblicherweise Pflanzen bezeichnet, die seit der „Entdeckung“ Amerikas nach 1500 und damit dem Beginn des globalen Warenverkehrs bei uns absichtlich eingeführt oder eingeschleppt wurden und sich dann in der freien Natur ausgebreitet haben. „Neophyt“ bedeutet dabei lediglich: Neue Pflanze.
Doch Neophyten haben einen schlechten Ruf und viele Laien und auch Naturschützer:innen denken an solche Arten mit Grausen: Der Riesen-Bärenklau kann schlimme Verbrennungen verursachen. Die kanadische Goldrute verdrängt geschützte Orchideen und die Ambrosie ist für Allergiker schlimmer als jede andere Pflanze in Deutschland. So gibt es seit Jahrzehnten einen regelrechten Kulturkampf gegen die „Ausländer“ unter den Pflanzen. Ungerechtfertigt, wie ich finde. Ich möchte deshalb für mehr Toleranz gegenüber diesen Zuwanderern werben:
Neophyten sind nicht so schlecht wie ihr Ruf!
Die allermeisten Neophyten verursachen überhaupt gar keine Probleme und verdrängen keine heimischen Arten. Viele von ihnen bereichern unsere Ökosysteme. Auch Weizen, Walnuss, Kulturapfel – oder Blumen und Heilpflanzen wie Klatschmohn, Kornblume, Echte Kamille und Kornrade sind ursprünglich nicht bei uns zuhause, sondern durch den Menschen zu uns gekommen.
Kartoffel, Tomate, Aubergine, Mais, Kürbis und viele andere stammen zum Beispiel aus Amerika. Ohne „eingeschleppte“ Getreide‑, Obst- und Gemüsearten sähe es mit der Ernährung bei uns ganz schön trostlos aus. Vor der Einführung der Kartoffel aßen die meisten Mitteleuropäer den ganzen Tag Getreidebrei oder Brot. Als Gemüse gab es nur wenig dazu: Rüben, Kohl und Linsen.
Warum wird zwischen alten und neuen eingeschleppten Pflanzen unterschieden?
Etwa 12.000 Pflanzenarten sind seit 1500 zu uns gekommen. Die meisten davon werden in Gärten und Parks gehalten oder angebaut. Nur etwa 100 Pflanzen sind so „eingebürgert”, dass sie als Teil unserer heimischen Flora angesehen werden. Pflanzen, die schon vorher seit der Steinzeit zu uns gelangt und heute fester Bestandteil unserer heimischen Flora sind, bezeichnet die Wissenschaft hingegen als „Archaeophyten“ (Alte Pflanzen). Diese Einteilung ist aber eigentlich völlig willkürlich.
Warum sollten Arten, die nach 1500 zu uns gelangt sind, für unsere Natur gefährlicher sein als solche, die um 1400 oder zur Zeit der Geburt Christi kamen? Und sind sie gefährlich invasiv? Wie verhält es sich mit den Arten, die aus dem Garten flüchten? Sind sie nun gut oder schlecht? So einfach ist das nicht. Deshalb will ich mich heute genauer mit dem Phänomen Neophyten beschäftigen und einige Arten näher betrachten, die geschmäht werden.
Riesen-Bärenklau: Gesundheitsgefährdend und breitet sich aus
Der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) wird auch Herkulesstaude genannt, weil er über drei Meter hoch wird. Er wurde im 19. Jahrhundert als Zierpflanze sehr beliebt. Ihre eigentliche Heimat hat die Herkulesstaude im Kaukasus. Aufgrund der späten Blüte ist sie eine wichtige Nahrungspflanze für Bienen. An Lichtungen im Wald wurde sie als Deckungspflanze für das Wild angepflanzt. Schnell hat sie die frischen, nährstoffreichen Standorte entlang von Fließgewässern besiedelt, so dass dadurch tausende von Samen flussabwärts verbreitet wurden. Sie wächst auch an Acker- und Grünlandstandorten und kann mit ihrer Größe und den immensen Blattflächen andere Arten verdrängen.
Wie problematisch ist der Riesen-Bärenklau?
Gelangt der Saft des Riesen-Bärenklaus auf die Haut, führt schon eine geringe Sonneneinstrahlung zu schlimmen Verbrennungen, oft mit Blasenbildung, deren Folgen monatelang anhalten können. So wird der Riesenbärenklau aus dem Kaukasus zum Opfer wahrer „Kreuzzüge“ gegen ihn. Aber: Der einheimische Bärenklau verursacht dieselben Verbrennungen und ist nicht dem Furor der Fremdenfeinde ausgesetzt.
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Der vom Riesen-Bärenklau ausgehende ökologische Schaden wird im Vergleich mit anderen invasiven Neophyten wie beispielsweise der Späten Traubenkirsche oder der Gewöhnlichen Robinie eher überschätzt. Es ist keine Art bekannt, die durch den Riesen-Bärenklau bedroht ist. An Flüssen und Bächen kann die Pflanze aber die Gefahr der Ufererosion erhöhen.
Ebenfalls ernsthaft gesundheitsgefährdend ist die Ambrosia artemisiifolia, auch Beifußblättriges Traubenkraut genannt. Die Ambrosie ist ein Neophyt, der in Nordamerika weit verbreitet ist und von dort unbeabsichtigt nach Europa gebracht wurde. Sie wächst besonders gern auf gestörten Böden, so beispielsweise an Straßenrändern, in Kiesgruben, an Bahndämmen, auf Baustellen und Schutthalden. Die häufigsten Wuchsorte sind aber Gärten, vor allem unter Vogelfutterplätzen: Mit Ambrosia-Samen verunreinigtes Vogelfutter ist der Haupteinfuhrweg!
Die Allergene der Ambrosia können auch bei Nicht-Allergiker:innen tränende Augen, Asthmaanfälle und Ekzeme verursachen. Die Pflanze blüht erst spät im Jahr, verlängert damit die Allergie-Saison und breitet sich rasch aus. Deshalb könnte sie zum Problem für unser Gesundheitssystem werden. Auch in ihrer Heimat Amerika verursacht die Pflanze große Gesundheitsprobleme. Daran sieht man, dass nicht nur Neophyten Schwierigkeiten bringen.
Das Drüsige oder Indische Springkraut (Impatiens glandulifera) kam als Zierpflanze aus den Höhen des Himalajas zu uns. Es ist eine einjährige Pflanze, die in kurzer Zeit über zwei Meter hoch werden kann. Die großen purpurnen Blüten sind schön anzusehen und ein Paradies für Bienen: Das Indische Springkraut stellt etwa vierzigmal so viel Nektar her wie eine vergleichbare heimische Pflanze. An Flüssen und Bächen verdrängt das Springkraut aber einheimische Pflanzen, indem es seine Unmengen von Samen bei der kleinsten Berührung bis zu sieben Meter weit schleudert. Nach der Blüte im Herbst hinterlässt das Wildkraut an den Ufern kahle Stellen, die Erosionsgefahr steigt.
Beides beschreibt den Baum ganz gut, der neuerdings besonders das Berliner Stadtbild stark prägt. Götterbaum, weil er extrem rasch wächst, bis zu vier Meter pro Jahr. Damit streckt er seine Krone schneller den Göttern entgegen, als jeder andere europäische Baum. Ghettopalme, weil der Baum mit den fiedrigen Blättern selbst im kleinsten Betonspalt und unter widrigen Stadtbedingungen mit Luftverschmutzung und urinierenden Hunden gut gedeiht.
Der Götterbaum stammt ursprünglich aus China. Während des Wiederaufbaus in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg wurde er zum „Trümmerbaum“, weil er auch hier allen Widrigkeiten trotzte. Jahrelang pflanzte man ihn gerne in Parks, bis man sich seiner invasiven Eigenschaften bewusst wurde. Doch wo nichts anderes wächst, sollten wir uns über „Ghettopalmen“ in widrigen Betonwüsten lieber freuen, als sie zu verteufeln.
Sicher habt Ihr die Robinie (Robinia pseudoacacia) mit ihren knorrigen Ästen und der wunderbaren, weißen Blütenpracht schon einmal gesehen. Sie wächst an Bahndämmen, auf trockenem, gestörtem Boden und wird gerne in Parks und Gärten gepflanzt. Auch wird sie in Wäldern gezielt angebaut, da man aus ihrem Holz haltbare Gartenmöbel herstellen kann und es eine Alternative zu importiertem Tropenholz darstellt. Vor vierhundert Jahren wurde sie nach den meisten Berichten vom französischen Hofgärtner und Apotheker Jean Robin nach Paris gebracht und sorgte dort für Staunen unter den Adligen, die bald die Pflanze wegen ihres Blütenduftes und den herrlichen Blüten in ihren Schlossparks anpflanzten. Der Baum ist eine wundervolle Bienenweide. Mit der Zeit verbreitete sich die Robinie über ganz Europa, Afrika, West- und Ostasien.
Mancherorts ist die Robinie jedoch eine invasive Pflanzenart geworden. Sie reichert nämlich den Boden mit Stickstoff an, „düngt“ ihn also. Dies kann vor allem seltene Biotop-Typen wie Magerrasen, Kalkmagerrasen und Sandtrockenrasen bedrohen. Seltene dort lebende Arten, die sich besonders auf die Nährstoffarmut eingestellt haben, können verdrängt werden.
Wenn Neophyten zum Problem werden: Japanischer Staudenknöterich
Bis zu 25 Zentimeter am Tag wächst der Japanknöterich (Reynoutria oder Fallopia japonica) und kann vier Meter hoch werden. Sein dichtes Blätterdach nimmt anderen Pflanzen das Licht. Seine zwei Meter tief reichenden Wurzeln machen Felder für den Anbau anderer Pflanzen unbrauchbar. Die Wildstaude kam 1825 als Zier- und Futterpflanze nach Europa und erobert seitdem unsere Flussufer, Waldränder und Bahndämme im Sturm.
Was tun gegen Neophyten?
Kann man dafür sorgen, dass eingeschleppte Pflanzen wieder verschwinden? Wenn die „Fremden“ sich einmal eingebürgert haben, hat man so gut wie keine Chance, sie wieder loszuwerden. Sicher kann man da und dort in der Natur „gärtnern“, also ausreißen, abmähen, ausgraben. Und wenn man froh ist, alle „Ausländer“ ausgerottet zu haben, sind doch noch Samen im Boden oder werden von Wasser und Wind herbeigetragen – und es geht alles von vorne los. Das erinnert mich an Sisyphos, der auf ewig einen Felsblock einen Berg hinaufwälzen musste, welcher, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollte. Auf kleinen Flächen geht das vielleicht, wenn man jedes Jahr mit vielen ehrenamtlichen Helfern großen Aufwand treibt. Aber überall? Etwas anders sieht es mit Pflanzen aus, die sich noch nicht bei uns etabliert haben und jetzt erst zu uns kommen. Wenn man da hinterher ist, kann man vielleicht eine größere Verbreitung von wirklich invasiven, schädigenden Arten aufhalten. Und das sollte man auch tun.
Bitte nicht so fremdenfeindlich!
Nur einige wenige neue Pflanzen stören unsere Ökosysteme. Noch weniger sind gesundheitsgefährdend. Da durch die Eiszeiten viele ursprünglich bei uns heimische Arten ausgestorben sind, ist in zahlreichen ökologischen Nischen noch Raum für neue Arten. Die mitteleuropäischen Ökosysteme haben im Laufe der Eiszeiten eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber neu eingewanderten Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Sie können ohne negative Folgen von neuen Arten besetzt werden. Schon seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren wandern Arten nach Mitteleuropa ein. Die neuen Pflanzenarten fügen sich in diese Geschichte der Zuwanderung ein. Der Klimawandel verstärkt diese Dynamik. Angesichts der Erderhitzung können wir davon ausgehen, dass sich die Verbreitungsgebiete zahlreicher Arten signifikant verlagern werden. Der Naturschutz muss sich in Zukunft verstärkt dem Schutz dieser Zuwanderer widmen. Insbesondere sollten wir solche Arten tolerieren, die in früheren Warmzeiten, also zwischen den Eiszeiten, bereits in Mitteleuropa einheimisch waren.