„Wissenschaftler sind die neuen Rockstars“, Stephen Spielberg hat das schon vor Jahrzehnten erkannt und ihnen mit Indiana Jones ein filmisches Denkmal gesetzt. 40 Jahre später folgt mit „Into the Ice“ eine etwas andere, dokumentarische Hommage an die Wissenschaft.
Anders als bei Spielbergs Kassenschlager stehen hier keine Archäologen im Mittelpunkt, sondern die Stars sind Glaziolog:innen, die an ihre Grenzen gehen. Und darüber hinaus. Wie einst Harrison Ford auf der „Jagd nach dem verlorenen Schatz“, versuchen die Forscher dem scheinbar ewigen Eis Grönlands seine Geheimnisse zu entreißen.
Das ist nicht weniger spannend als die fiktive Story aus Hollywood. Und die Erkenntnisse über die Klimakrise jagen nicht nur wegen der frostigen Umgebung so manchen kalten Schauer über den Rücken.
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Der dänische Dokumentarfilmer Lars Ostenfeld liefert phantastische Bilder aus einem der extremsten Landschaften der Welt und zeigt, dass es bei „Klimafilmen“ auch ganz ohne Eisbären geht. Die gibt es zwar in Grönland auch, doch hier steht die rätselhafte, einsame Welt aus Eis im Zentrum. Um die Gefahr der Erderhitzung zu verstehen, braucht der Filmemacher keine schockierenden Bilder von hungernden Eisbären oder panischen Walrossen. Die drastischen Eindrücke aus der „eisigen Hölle“ sind eindringlich genug.
Wissenschaft hautnah — inklusive Lebensgefahr
„Into the Ice“ begleitet die Wissenschaftler:innen Alun Hubbard, Dorte Dahl-Jensen und Jason Box bei ihren lebensgefährlichen Exkursionen tief in das schmelzende Herz der Klimakrise. Nur mit einem Seil gesichert, steigen sie in eine 180 Meter auf den Grund einer 80 Meter tiefen so genannten „Gletschermühle“, während von oben mehrere Meter große Eiszapfen in die Tiefe donnern. Die halsbrecherische Klettertour dient dazu, zu untersuchen, was mit dem Eis passiert, wenn Wasser hinein und unter das Eis sickert.
Einen anderen Ansatz verfolgt die Gletscherforscherin Dorte Dahl-Jensen kann. Sie kann durch Eiskernbohrungen 100.000 Jahre in die Vergangenheit blicken und bringt eine wichtige historische Perspektive auf den Klimawandel ein.
Das Bild wird komplettiert durch Jason Box und sein „Gespür für Schnee“. Der Forscher untersucht, ob zunehmender Schneefall auf der Eisdecke eine Bremse gegen das große Schmelzen sein könnte. Alle drei sind sich einig, dass der grönländische Eisschild der Schlüssel zum Verständnis für das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Anstiegs des Meeresspiegels ist. Was jetzt in Grönland passiert, kann helfen, vorherzusagen, was im Rest der Welt passieren wird.
„Into the Ice“, ein Dokumentarfilm nicht nur für heiße Sommerabende. Ab 15. September im Kino. Eindeutig empfohlen von mir — und dem WWF.
Die Deutschlandpremiere des Films wird am 24. August 2022 um 20 Uhr in Anwesenheit des Regisseurs Lars Henrik Ostenfeld und Campino im Berliner Zoo-Palast stattfinden. Der Vorverkauf hat begonnen. Tickets bekommt Ihr hier.
Das Mittelmeer heizt sich so schnell auf wie kein anderes Meer. In diesem Sommer werden neue Rekorde gemessen. Die Folgen sind verheerend.
Das Mittelmeer erlebt gerade eine enorme Hitzewelle. Auch unter Wasser. Das Wasser ist diesen Sommer bis zu sechs Grad wärmer als in der Vergleichsperiode zwischen 1982 und 2011. Das Tyrrhenische Meer an der westlichen Küste Italiens ist so warm wie noch nie. Nahe der Äolischen Inseln vor Sizilien wurden 30 Grad Wassertemperatur gemeldet. Das ist krass, aber nicht wirklich überraschend.
Die Folgen sind unübersehbar. Viele Arten können sich an derartige Veränderungen nicht anpassen. Fast 1000 gebietsfremde Arten sind bereits neu ins Mittelmeer eingewandert und haben einheimische Arten verdrängt. Die extremen Wetterbedingungen machen das Meer immer saurer und salziger. Die empfindlichen Seegras- und Korallenbänke drohen zu verschwinden.
Europe is not just experiencing heatwaves on land.
The Mediterranean Sea is experiencing a brutal marine heatwave this July, which will have devastating impacts on marine ecosystems while also enhancing heatwaves on land.
Das Mittelmeer von heute ist nicht mehr das, was es einmal war. Es befindet sich sozusagen auf der Überholspur in die Klimakatastrophe. Ich empfehle unseren Bericht “The Climate Change Effekt in the Mediterranean: Stories from an overheating sea” , der die Hauptauswirkungen der Klimakrise auf die biologische Vielfalt des Meeres zeigt.
Kurz zusammengefasst: Im gesamten Mittelmeer verändern sich Lebensräume und Populationen enorm. Einheimische Mollusken wie Schnecken und Muscheln sind im Meer vor Israel um fast 90 Prozent zurückgegangen. Es gibt immer mehr Quallen. Allein schon über 600 tropische Fischarten wurden im Mittelmeer entdeckt. Die Folgen dieser Neuankömmlinge können verheerend sein.
Beispiel Feuerfisch: Die Invasion des Indischen Feuerfisch ist besonders zerstörerisch. Die gefräßigen Fische mit den langen, hochgiftigen Rückenstacheln verbreiteten sich seit ihrer ersten Entdeckung im Mittelmeer anfangs der 90er Jahren inzwischen bis in die Adria. Fressfeinde haben sie kaum, denn die wurden gnadenlos überfischt. Die Feuerfische fressen das Meer leer, die Bestände von Krustentieren und kleinen Fischen sinken dramatisch.
Beispiel Kaninchenfisch: Auch diese Spezies wanderte über den Suezkanal aus dem Roten Meer ein. Mittlerweile haben sie sich über die gesamte östliche Hälfte des Mittelmeers ausgebreitet. Kaninchenfische machen heute 80 Prozent der Fischfänge in der Türkei aus. Wo sie leben sind die Seegraswiesen nahezu vollständig aufgefressen. Stattdessen dominierten blanke Felsen. Das bedeutet dramatische Auswirkungen auf das gesamte marine Ökosystem, da die Seegraswiesen Lebensräume vieler Arten darstellen. Darüber hinaus sind sie wichtig für das Klima, da einige von ihnen als natürliche Kohlenstoffsenken fungieren.
Beispiel Edle Steckmuschel:Pinna nobilis ist die größte endemische Muschel des Mittelmeer und auch eine der größten der Welt. Sie kam früher häufig vor und war wichtiger Lebensraum für eine Vielzahl von Arten. Heute sind sie kurz vor dem Aussterben. Der Parasit Haplosporidium pinnae hat in den letzten Jahren nahezu alle Steckmuschelfelder im gesamten Mittelmeer vernichtet. Es wird angenommen, dass die hohen Wassertemperaturen dem Parasiten dabei geholfen haben sich so rasend auszubreiten.
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Realität Klimakrise im Mittelmeer
Die Klimakrise ist am und im Mittelmeer spürbare Realität. Wenn wir den Trend umkehren wollen, müssen wir die Erderhitzung stoppen. Aber wir müssen auch den menschlichen Druck durch Überfischung, Verschmutzung, Küstenentwicklung und Schifffahrt verringern. Wir müssen die ökologische Widerstandsfähigkeit des Meeres stärken. Gesunde Ökosysteme und eine blühende Artenvielfalt sind unser bester Schutz vor den Auswirkungen des Klimakrise. Gut verwaltete Meeresschutzgebiete können viel dazu beitragen, den Stress für das Meer so weit wie möglich zu reduzieren. 30 Prozent des Mittelmeeres müssen zu Meeresschutzgebieten werden. Das könnte die Überfischung stoppen, das gesamte System Meer bekäme eine Chance zur Erholung.
Als Neophyten werden üblicherweise Pflanzen bezeichnet, die seit der „Entdeckung“ Amerikas nach 1500 und damit dem Beginn des globalen Warenverkehrs bei uns absichtlich eingeführt oder eingeschleppt wurden und sich dann in der freien Natur ausgebreitet haben. „Neophyt“ bedeutet dabei lediglich: Neue Pflanze.
Doch Neophyten haben einen schlechten Ruf und viele Laien und auch Naturschützer:innen denken an solche Arten mit Grausen: Der Riesen-Bärenklau kann schlimme Verbrennungen verursachen. Die kanadische Goldrute verdrängt geschützte Orchideen und die Ambrosie ist für Allergiker schlimmer als jede andere Pflanze in Deutschland. So gibt es seit Jahrzehnten einen regelrechten Kulturkampf gegen die „Ausländer“ unter den Pflanzen. Ungerechtfertigt, wie ich finde. Ich möchte deshalb für mehr Toleranz gegenüber diesen Zuwanderern werben:
Neophyten sind nicht so schlecht wie ihr Ruf!
Die allermeisten Neophyten verursachen überhaupt gar keine Probleme und verdrängen keine heimischen Arten. Viele von ihnen bereichern unsere Ökosysteme. Auch Weizen, Walnuss, Kulturapfel – oder Blumen und Heilpflanzen wie Klatschmohn, Kornblume, Echte Kamille und Kornrade sind ursprünglich nicht bei uns zuhause, sondern durch den Menschen zu uns gekommen.
Kartoffel, Tomate, Aubergine, Mais, Kürbis und viele andere stammen zum Beispiel aus Amerika. Ohne „eingeschleppte“ Getreide‑, Obst- und Gemüsearten sähe es mit der Ernährung bei uns ganz schön trostlos aus. Vor der Einführung der Kartoffel aßen die meisten Mitteleuropäer den ganzen Tag Getreidebrei oder Brot. Als Gemüse gab es nur wenig dazu: Rüben, Kohl und Linsen.
Warum wird zwischen alten und neuen eingeschleppten Pflanzen unterschieden?
Etwa 12.000 Pflanzenarten sind seit 1500 zu uns gekommen. Die meisten davon werden in Gärten und Parks gehalten oder angebaut. Nur etwa 100 Pflanzen sind so „eingebürgert”, dass sie als Teil unserer heimischen Flora angesehen werden. Pflanzen, die schon vorher seit der Steinzeit zu uns gelangt und heute fester Bestandteil unserer heimischen Flora sind, bezeichnet die Wissenschaft hingegen als „Archaeophyten“ (Alte Pflanzen). Diese Einteilung ist aber eigentlich völlig willkürlich.
Warum sollten Arten, die nach 1500 zu uns gelangt sind, für unsere Natur gefährlicher sein als solche, die um 1400 oder zur Zeit der Geburt Christi kamen? Und sind sie gefährlich invasiv? Wie verhält es sich mit den Arten, die aus dem Garten flüchten? Sind sie nun gut oder schlecht? So einfach ist das nicht. Deshalb will ich mich heute genauer mit dem Phänomen Neophyten beschäftigen und einige Arten näher betrachten, die geschmäht werden.
Riesen-Bärenklau: Gesundheitsgefährdend und breitet sich aus
Der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) wird auch Herkulesstaude genannt, weil er über drei Meter hoch wird. Er wurde im 19. Jahrhundert als Zierpflanze sehr beliebt. Ihre eigentliche Heimat hat die Herkulesstaude im Kaukasus. Aufgrund der späten Blüte ist sie eine wichtige Nahrungspflanze für Bienen. An Lichtungen im Wald wurde sie als Deckungspflanze für das Wild angepflanzt. Schnell hat sie die frischen, nährstoffreichen Standorte entlang von Fließgewässern besiedelt, so dass dadurch tausende von Samen flussabwärts verbreitet wurden. Sie wächst auch an Acker- und Grünlandstandorten und kann mit ihrer Größe und den immensen Blattflächen andere Arten verdrängen.
Wie problematisch ist der Riesen-Bärenklau?
Gelangt der Saft des Riesen-Bärenklaus auf die Haut, führt schon eine geringe Sonneneinstrahlung zu schlimmen Verbrennungen, oft mit Blasenbildung, deren Folgen monatelang anhalten können. So wird der Riesenbärenklau aus dem Kaukasus zum Opfer wahrer „Kreuzzüge“ gegen ihn. Aber: Der einheimische Bärenklau verursacht dieselben Verbrennungen und ist nicht dem Furor der Fremdenfeinde ausgesetzt.
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Der vom Riesen-Bärenklau ausgehende ökologische Schaden wird im Vergleich mit anderen invasiven Neophyten wie beispielsweise der Späten Traubenkirsche oder der Gewöhnlichen Robinie eher überschätzt. Es ist keine Art bekannt, die durch den Riesen-Bärenklau bedroht ist. An Flüssen und Bächen kann die Pflanze aber die Gefahr der Ufererosion erhöhen.
Ambrosie bedroht die Gesundheit
Ebenfalls ernsthaft gesundheitsgefährdend ist die Ambrosia artemisiifolia, auch Beifußblättriges Traubenkraut genannt. Die Ambrosie ist ein Neophyt, der in Nordamerika weit verbreitet ist und von dort unbeabsichtigt nach Europa gebracht wurde. Sie wächst besonders gern auf gestörten Böden, so beispielsweise an Straßenrändern, in Kiesgruben, an Bahndämmen, auf Baustellen und Schutthalden. Die häufigsten Wuchsorte sind aber Gärten, vor allem unter Vogelfutterplätzen: Mit Ambrosia-Samen verunreinigtes Vogelfutter ist der Haupteinfuhrweg!
Die Allergene der Ambrosia können auch bei Nicht-Allergiker:innen tränende Augen, Asthmaanfälle und Ekzeme verursachen. Die Pflanze blüht erst spät im Jahr, verlängert damit die Allergie-Saison und breitet sich rasch aus. Deshalb könnte sie zum Problem für unser Gesundheitssystem werden. Auch in ihrer Heimat Amerika verursacht die Pflanze große Gesundheitsprobleme. Daran sieht man, dass nicht nur Neophyten Schwierigkeiten bringen.
Das Drüsige oder Indische Springkraut (Impatiens glandulifera) kam als Zierpflanze aus den Höhen des Himalajas zu uns. Es ist eine einjährige Pflanze, die in kurzer Zeit über zwei Meter hoch werden kann. Die großen purpurnen Blüten sind schön anzusehen und ein Paradies für Bienen: Das Indische Springkraut stellt etwa vierzigmal so viel Nektar her wie eine vergleichbare heimische Pflanze. An Flüssen und Bächen verdrängt das Springkraut aber einheimische Pflanzen, indem es seine Unmengen von Samen bei der kleinsten Berührung bis zu sieben Meter weit schleudert. Nach der Blüte im Herbst hinterlässt das Wildkraut an den Ufern kahle Stellen, die Erosionsgefahr steigt.
Ghettopalme oder Götterbaum?
Beides beschreibt den Baum ganz gut, der neuerdings besonders das Berliner Stadtbild stark prägt. Götterbaum, weil er extrem rasch wächst, bis zu vier Meter pro Jahr. Damit streckt er seine Krone schneller den Göttern entgegen, als jeder andere europäische Baum. Ghettopalme, weil der Baum mit den fiedrigen Blättern selbst im kleinsten Betonspalt und unter widrigen Stadtbedingungen mit Luftverschmutzung und urinierenden Hunden gut gedeiht.
Der Götterbaum stammt ursprünglich aus China. Während des Wiederaufbaus in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg wurde er zum „Trümmerbaum“, weil er auch hier allen Widrigkeiten trotzte. Jahrelang pflanzte man ihn gerne in Parks, bis man sich seiner invasiven Eigenschaften bewusst wurde. Doch wo nichts anderes wächst, sollten wir uns über „Ghettopalmen“ in widrigen Betonwüsten lieber freuen, als sie zu verteufeln.
Robinie: Düngt da, wo man es nicht braucht
Sicher habt Ihr die Robinie (Robinia pseudoacacia) mit ihren knorrigen Ästen und der wunderbaren, weißen Blütenpracht schon einmal gesehen. Sie wächst an Bahndämmen, auf trockenem, gestörtem Boden und wird gerne in Parks und Gärten gepflanzt. Auch wird sie in Wäldern gezielt angebaut, da man aus ihrem Holz haltbare Gartenmöbel herstellen kann und es eine Alternative zu importiertem Tropenholz darstellt. Vor vierhundert Jahren wurde sie nach den meisten Berichten vom französischen Hofgärtner und Apotheker Jean Robin nach Paris gebracht und sorgte dort für Staunen unter den Adligen, die bald die Pflanze wegen ihres Blütenduftes und den herrlichen Blüten in ihren Schlossparks anpflanzten. Der Baum ist eine wundervolle Bienenweide. Mit der Zeit verbreitete sich die Robinie über ganz Europa, Afrika, West- und Ostasien.
Mancherorts ist die Robinie jedoch eine invasive Pflanzenart geworden. Sie reichert nämlich den Boden mit Stickstoff an, „düngt“ ihn also. Dies kann vor allem seltene Biotop-Typen wie Magerrasen, Kalkmagerrasen und Sandtrockenrasen bedrohen. Seltene dort lebende Arten, die sich besonders auf die Nährstoffarmut eingestellt haben, können verdrängt werden.
Wenn Neophyten zum Problem werden: Japanischer Staudenknöterich
Bis zu 25 Zentimeter am Tag wächst der Japanknöterich (Reynoutria oder Fallopia japonica) und kann vier Meter hoch werden. Sein dichtes Blätterdach nimmt anderen Pflanzen das Licht. Seine zwei Meter tief reichenden Wurzeln machen Felder für den Anbau anderer Pflanzen unbrauchbar. Die Wildstaude kam 1825 als Zier- und Futterpflanze nach Europa und erobert seitdem unsere Flussufer, Waldränder und Bahndämme im Sturm.
Was tun gegen Neophyten?
Kann man dafür sorgen, dass eingeschleppte Pflanzen wieder verschwinden? Wenn die „Fremden“ sich einmal eingebürgert haben, hat man so gut wie keine Chance, sie wieder loszuwerden. Sicher kann man da und dort in der Natur „gärtnern“, also ausreißen, abmähen, ausgraben. Und wenn man froh ist, alle „Ausländer“ ausgerottet zu haben, sind doch noch Samen im Boden oder werden von Wasser und Wind herbeigetragen – und es geht alles von vorne los. Das erinnert mich an Sisyphos, der auf ewig einen Felsblock einen Berg hinaufwälzen musste, welcher, fast am Gipfel, jedes Mal wieder ins Tal rollte. Auf kleinen Flächen geht das vielleicht, wenn man jedes Jahr mit vielen ehrenamtlichen Helfern großen Aufwand treibt. Aber überall? Etwas anders sieht es mit Pflanzen aus, die sich noch nicht bei uns etabliert haben und jetzt erst zu uns kommen. Wenn man da hinterher ist, kann man vielleicht eine größere Verbreitung von wirklich invasiven, schädigenden Arten aufhalten. Und das sollte man auch tun.
Bitte nicht so fremdenfeindlich!
Nur einige wenige neue Pflanzen stören unsere Ökosysteme. Noch weniger sind gesundheitsgefährdend. Da durch die Eiszeiten viele ursprünglich bei uns heimische Arten ausgestorben sind, ist in zahlreichen ökologischen Nischen noch Raum für neue Arten. Die mitteleuropäischen Ökosysteme haben im Laufe der Eiszeiten eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber neu eingewanderten Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Sie können ohne negative Folgen von neuen Arten besetzt werden. Schon seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren wandern Arten nach Mitteleuropa ein. Die neuen Pflanzenarten fügen sich in diese Geschichte der Zuwanderung ein. Der Klimawandel verstärkt diese Dynamik. Angesichts der Erderhitzung können wir davon ausgehen, dass sich die Verbreitungsgebiete zahlreicher Arten signifikant verlagern werden. Der Naturschutz muss sich in Zukunft verstärkt dem Schutz dieser Zuwanderer widmen. Insbesondere sollten wir solche Arten tolerieren, die in früheren Warmzeiten, also zwischen den Eiszeiten, bereits in Mitteleuropa einheimisch waren.
Paranüsse stammen aus dem Amazonas. Doch um sie zu ernten, wird kein Regenwald abgeholzt. Im Gegenteil. Denn der Paranussbaum ist ökologisch betrachtet etwas ganz Besonderes — er braucht ein intaktes Regenwald-Ökosystem, um Früchte zu produzieren. Alle Paranüsse in unseren Supermärkten sind daher wild im Regenwald gesammelt worden.
Die Paranuss bietet Lebensgrundlage für indigene und traditionelle Gemeinden,
trägt zur Erhaltung ihrer Kultur bei und vermindert die Attraktivität räuberischer
Einkommensquellen wie Holzeinschlag und Bergbau,
indem sie den intakten Wald in Wert setzt.
Paranuss: Einzigartiges Zusammenspiel der Natur
Weit überragt die runde Krone das dichte, grüne Blätterdach der Amazonas-Regenwälder: Paranussbäume (Bertholletia excelsa) sind sehr groß, bis zu 55 Meter und gehören zu den Bäumen, die das oberste Stockwerk der Tropenwälder bilden. Doch ohne die Bäume und Sträucher darunter würden hier keine Paranüsse wachsen. Die verschiedenen Schichten des Urwaldes dienen sozusagen als Treppenhaus für die einzigen Wildbienen, die fähig sind, die Paranuss-Blüten zu bestäuben. Und das ausgeklügelte ökologische Zusammenspiel geht noch weiter!
Der Paranuss-Baum wird hauptsächlich von den weiblichen Orchideenbienen(Euglossini) bestäubt. Sie sind groß und kräftig genug, um nötige Distanzen zu überwinden und die großen Blüten des Baumes aufzuklappen. Als Einzelgängerinnen können die Orchideenbienen aber nicht wie unsere Bienen gezüchtet werden. Auch das ist ein Grund, warum Paranüsse nicht gut auf Plantagen wachsen.
Die männlichen Orchideenbienen benötigen außerdem bestimmte Orchideen, die nur in einem intakten Regenwald vorkommen, um mit ihrem Duft die Weibchen zur Paarung anzulocken. Ohne diese Orchideen keine Orchideenbienen, also auch keine Paranüsse.
Schließlich braucht der Baum noch den Aguti: Ein Nagetier, das die Samen im Regenwald verteilt. Es ist mit dem Meerschweinchen verwandt und einer der wenigen Regenwaldbewohner, die fähig sind, die harten, herunter gefallenen Paranuss-Kapseln zu knacken.
Ihr seht, es ist eine ausgefeilte, kaum nachzuahmende Symbiose der Natur, die Paranüsse wachsen lässt und den Baum für den Naturschutz extrem wertvoll macht. Durch die Paranuss trägt der Erhalt großer, intakter Waldökosysteme buchstäblich Früchte.
Wo kommen Paranüsse her?
Der nordbrasilianische Bundesstaat Pará ist namensgebend für die Nuss. Paranüsse wachsen in den tropischen Regenwäldern Guyanas und des Amazonasbeckens von Venezuela bis Brasilien. Deshalb wäre es eigentlich richtig, sie Amazonasnuss zu nennen. Die meisten Paranussbäume wachsen in Brasilien, größter Produzent für den Weltmarkt ist heute Bolivien.
Harte Schale, gehaltvoller Kern: Wie gesund sind Paranüsse?
In der halbmondförmigen Paranuss stecken zahlreiche Nährstoffe wie Magnesium, Kalium, Eisen, Zink, Vitamin E und ungesättigte Fettsäuren. Vegetarier:innen und Veganer:innen schätzen sie vor allem wegen des hohen Gehaltes an pflanzlichem Eiweiß. Auch sind sie besonders reich an Selen, einem Spurenelement, das unter anderem wichtig für die Zellerneuerung und das Immunsystem ist. Bereits eine einzelne Nuss deckt den Tagesbedarf!
Paranüsse sind wie andere Nüsse anfällig für Schimmelpilze (Aflatoxine), besonders weil sie wild im feuchten Regenwald gesammelt werden müssen. Durch gute Praktiken beim Sammeln, Trocknen und Lagern kann der Befall jedoch vermieden werden. Außerdem werden die für den europäischen Markt bestimmten Nüsse besonders strikt auf mögliche Aflatoxine geprüft.
Paranüsse haben aber noch aus einem anderen Grund eine Sonderstellung. Über ihr dünnes Wurzelgeflecht nehmen die Paranussbäume radioaktives Radium aus dem Boden auf, welches sich in den Nüssen anreichert. Zwar kommen auch in vielen anderen Lebensmitteln minimale Dosen radioaktiver Stoffe vor, jedoch ist sie in Paranüssen besonders hoch. Daher empfiehlt das Bundesamt für Strahlenschutz nicht mehr als 2–3 Nüsse (8 Gramm) pro Tag zu essen.
Paranuss: Frucht der Indigenen
Indigene Völker Amazoniens sammeln die Paranuss schon seit Jahrtausenden. Die Tatsache, dass der Paranussbaum heute meistens in Gruppen vorkommt, führt man auch darauf zurück, dass sie von Indigenen vor hunderten von Jahren angepflanzt wurden.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Amazonasbecken dann auch von Kautschuksammlern besiedelt. Außerhalb der Erntezeit des Kautschuks fingen diese bald an, ebenfalls Paranüsse zu sammeln. Castanheiros nennen sich die Sammler:innen und sind heute in Brasilien als traditionelle Völker anerkannt. Ihre Gemeinden fallen unter eine eigene Schutzkategorie, die ihnen große Territorien zusichert.
Wie nachhaltig ist das Sammeln von Paranüssen?
Natürlich nimmt, wer Wildfrüchte sammelt, immer auch Einfluss auf den natürlichen Kreislauf. Einerseits fehlen diese Früchte als Nahrungsquelle im Wald, andererseits tragen sie nicht mehr zur Ausbreitung des Baumes bei. Derartige Auswirkungen sind beim Sammeln der Paranüsse in den dichten Regenwäldern des Amazonas jedoch gering und werden heute durch spezielle Managementtechniken noch weiter vermindert.
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Die Arbeit ist mühsam und nicht ungefährlich. Die Paranussbäume stehen mitten im Regenwald, oft mehrere Stunden Fußmarsch von der Siedlung entfernt. Die Sammler:innen bleiben in der Erntezeit manchmal mehrere Tage im Wald in der Nähe der Bäume. Paranüsse wachsen in Kokosnuss-ähnlichen Kapseln, die aus großer Höhe herunterfallen, wenn sie reif sind. Die Castanheiros benutzen heute deshalb Schutzhelme, um Kopfverletzungen zu vermeiden. Um an die Nüsse zu kommen, müssen die sehr harten Kapseln per Hand aufgeschlagen werden. Nach dem Herausschlagen der Samen – in guter Entfernung von den Bäumen – werden diese dann in Säcke verpackt, transportiert und später getrocknet.
Das Fällen ganzer Bäume, um an ihre Nüsse zu kommen, ist in Brasilien, Bolivien und Peru verboten. Es wäre aber auch kontraproduktiv. Denn Paranussbäume brauchen viele Jahre, um zu wachsen. 500 Jahre kann ein Paranussbaum alt werden und es dauert Jahrzehnte, bis er Früchte trägt.
Ökologisch, kulturell, sozial
Wir vom WWF unterstützen in verschiedenen Projekten in Brasilien und Bolivien die nachhaltige Ernte von Paranüssen und die indigenen und traditionellen Gemeinden, die sich damit ihren Lebensunterhalt sichern. Die Paranuss ist ein gutes Beispiel dafür, wie eng verbunden die biologische, kulturelle und soziale Vielfalt sein können und wie wichtig es ist, das Große und Ganze in seiner Verbindung zu erhalten und zu fördern.
Beispiel Brasilien
In unserem neuesten Projekt in Brasilien – und gleichzeitig unserem größten in Südamerika – arbeiten wir mit verschiedenen indigenen und traditionellen Völkern zusammen. Zum Beispiel mit den Paiter Surui aus dem brasilianischen Bundesstaat Rondônia. Ein wichtiges Ziel des Projektes ist, für die indigene Bevölkerung alternative, nachhaltige Einkommensmöglichkeiten zu schaffen, die es ihnen ermöglichen, selbstbestimmt zu leben und gleichzeitig zur Entwicklung der Gemeinden beizutragen.
Gemeinsam wollen wir eine Wertschöpfungskette für Paranüsse so aufbauen, dass Käufer:innen im Supermarkt erkennen können, wo und durch welche Gemeinden die Paranüsse geerntet wurden und dadurch bereit sind, einen fairen Preis zu bezahlen. Zu unseren Maßnahmen zählen Fortbildungen hinsichtlich der Ernte, Aufbau der nötigen Infrastruktur zu Weiterverarbeitung, Einführung eines Systems zur Nachverfolgbarkeit und Zertifizierung der Produktion sowie die Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Marktzugang.
Hier noch ein Video unserer Partnerorganisation Origens Brasil:
Für mich war es eigentlich ein Grund zur Freude. Als die Ampel-Koalition im vergangenen Dezember ihren Koalitionsvertrag vorstellte, konnte man von den vielen Maßnahmen lesen, die die Bundesregierung klima- und energiepolitisch in dieser Legislaturperiode umsetzen möchte. Nach Jahren des Stillstandes war das Ziel gesetzt, den Klimaschutz ganz oben auf die Agenda zu setzen und die Pariser Ziele zu erreichen. Dies habe oberste Priorität, so der Koalitionsvertrag.
Ein wichtiger Punkt darin: Die Ankündigung eines Klimaschutz-Sofortprogramms. Die Ampel einigte sich im Koalitionsvertrag darauf, Klimaschutz zu einer Querschnittsaufgabe zu machen. Sie wollte dafür ein Programm „mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen“ bis Ende 2022 auf den Weg zu bringen. Dahinter steckt das Ziel, sektorenübergreifend eine Strategie für den Klimaschutz mit dem erforderlichen Weitblick zu schaffen. Bisher ist davon allerdings noch nicht allzu viel zu erkennen…
Verpasste Chance im Klimaschutz
Das Klimaschutzgesetz gibt für die einzelnen Sektoren Minderungspfade der Treibhausgase mit jahresscharfen Zielwerten an. So kann man jährlich überprüfen, an welchen Stellschrauben man drehen muss, damit die Klimaschutzziele der Bundesregierung erreicht werden. Im Jahr 2021 haben der Gebäude- und Verkehrssektor ihre vorgegebenen Emissionswerte nicht einhalten können und um je zwei bzw. drei Millionen Tonnen überschritten.
Das Klimaschutzgesetz verpflichtet die zuständigen Ressorts nun, Sofortprogramme aufzusetzen, die diese Emissionslücke schließen sollen. Am 13. Juli mussten die zuständigen Ministerien für Wirtschaft und Bau sowie für Verkehr nun ihre Programme vorlegen. Das wäre ein hervorragender Zeitpunkt für die Ampel gewesen, gleich ihr umfassendes Klimaschutz-Sofortprogramm aus dem Koalitionsvertrag sektorübergreifend vorzustellen. Doch diese Chance hat die Regierungskoalition verpasst.
Stattdessen legten die zuständigen Ministerien nur Einzelprogramme vor. Die Programme haben gemeinsam, dass sie die Emissionslücken der Zielverfehlungen aus dem letzten Jahr nicht direkt schließen. Stattdessen präsentierten die Ministerien Maßnahmen, die diese Lücke bis 2030 schließen sollen. Doch dabei gibt es auch deutliche Unterschiede.
Bei der FDP fehlt es an klimapolitischer Weitsicht
Im Gebäudebereich stellten die Minister:innen Geywitz (SPD) und Habeck (Grüne) Maßnahmen vor, die den kompletten Emissionspfad des Sektors bis 2030 in den Blick nehmen. Insgesamt soll der Gebäudesektor bis 2030 seine Emissionswerte einhalten und die bisherige Lücke geschlossen werden. Zu kritisieren ist allerdings, dass auch bei Umsetzung der vorgelegten Maßnahmen die Sektorziele bis 2026 jedes Jahr verfehlt würden. In der Summe würde man am Ende des Jahrzehnts durch die vorgestellten Maßnahmen allerdings so viel einsparen, dass man die Emissionslücke insgesamt schließen könnte.
Klimaschutz im Verkehrssektor
Auch das von der FDP-geführte Verkehrsministerium nahm das Jahr 2030 genauer in den Blick. Auch hier hat man keine Maßnahmen vorgelegt, die die Lücke umgehend schließen. Dabei liegen die dafür notwendigen Mittel auf der Hand. Um das Klimaschutzziel bis 2030 zu erreichen, muss der Sektor seine jährlichen Emissionen um über 60 Millionen Tonnen senken. Ein Tempolimit würde Mehremissionen schnell und kostengünstig reduzieren. Fast die Hälfte aller klimaschädlichen Subventionen ist auf den Verkehrsbereich zurückzuführen. Diese Subventionen konterkarieren jegliche Klimaschutzbemühungen des Sektors und sollten daher für klimafreundliche Investitionen umgenutzt werden.
Im Zuge eines umfangreichen Ausbaus der ÖPNV-Angebote könnte man etwa in den Verkehrsverbunden ein 365-Euro-Jahresticket schaffen. Dies wäre zugleich eine klimafreundliche Entlastung für viele Bürger:innen in Deutschland. Staatliche “Tankrabatte” gehören abgeschafft. Sie wirken kaum als Entlastung, halten an der fossilen Abhängigkeit fest und kurbeln den Verbrauch an, anstatt die „Freiheitsenergien” für eine echte Verkehrswende auszubauen.
Das vorgestellte Programm kann lediglich 13 Millionen Tonnen einsparen, so Minister Wissing (FDP). Ich finde, das Programm enthält weder Weitsicht, noch sind die Maßnahmen ambitioniert oder neu. Noch dazu ist fraglich, ob einzelne Vorhaben des Programms, wie die Einführung eines flächendeckenden WLANs im ÖPNV, tatsächlich auch eine Klimaschutzwirkung haben. Bald schon wird sich Minister Wissing also neue Sofortprogramme überlegen müssen, um den Verkehrssektor – mal wieder – on track zu bringen.
Regierungsparteien gespalten bei der Klimapolitik
Die nicht abgestimmten Einzelprogramme für Verkehr und Gebäude zeigen, dass man sich innerhalb der Regierungsparteien nicht auf einen gemeinsamen Klimakurs einigen konnte. In der Bundesregierung ist das Klima also eher schlecht. Das Klimaschutzgesetz gibt es eigentlich vor: Jeder Sektor muss einen fairen Beitrag zur Einhaltung der Klimaschutzziele leisten. Das sollten alle Regierungsparteien auch berücksichtigen.
Neue Verfehlungen der Klimaziele bahnen sich jedoch schon an. Damit nicht jedes Jahr neue Sofortprogramme mit Einzelmaßnahmen vorgelegt werden müssen, sollten sich die Blockierenden in der Bundesregierung einen Ruck geben. Sie sollten über ihren ideologischen Schatten springen und dem Klimaschutz tatsächlich oberste Priorität einräumen. So, wie sie es vereinbart haben.
Ach ja, über ein sektorenübergreifendes Klimaschutz-Sofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen, Verordnungen und Maßnahmen würde ich mich bis Ende des Jahres natürlich trotzdem noch freuen…