Maikong, Löffelhund & Co: was Du wahrscheinlich nicht über Wildhunde weißt

Afrikanische Wildhunde niesen, um demokratisch abzustimmen. Asiatische Wildhunde sehen aus wie Füchse, die südamerikanischen Waldhunde haben Schwimmhäute zwischen den Zehen und die inzwischen auch bei uns heimischen Marderhunde erinnern eher an Waschbären. Dingos oder gar Hyänen aber sind keine Wildhunde.

Der Afrikanische Wildhund aka Hyänenhund

Meist sind Afrikanische Wildhunde gemeint, wenn von Wildhunden die Rede ist. Und es lohnt sich, mehr über sie zu erzählen, bevor ich zu den anderen Arten komme. Denn die wohl sozialsten Hunde der Welt sind hocheffektive Jäger – und doch bedroht.

Ihr wissenschaftlicher Name Lycaon pictus heißt soviel wie „angemalter Wolf“ und beschreibt die weißen, gelben und rotbraunen Flecken auf dem schwarzen Grund ihres Fells. Jedes einzelne Tier hat seine ganz individuelle Zeichnung. Die bunten Wildhunde leben in der afrikanischen Savanne, in dichterem Buschland, teils auch in Hochlandwäldern oder Halbwüsten. Sie kommen südlich der Sahara in Ländern wie Tansania, Botswana und Simbabwe vor.

Extrem sozial

Wie sehen Wildhunde-Babys aus?
Es gibt Würfe mit bis zu 21 Jungtieren. Leider überleben nur wenige © imago images / Mint Images

Afrikanische Wildhunde leben in Rudeln mit einer einzigartigen Sozialstruktur! Es gibt selten Aggressionen, kaum Kämpfe um die Rangordnung, dafür einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Welpen, das säugende Weibchen, sowie verletzte oder kranke Hunde werden vom gesamten Rudel versorgt und mit wieder hoch gewürgtem Fleisch gefüttert. Praktisch nur das Alpha-Paar kann Nachwuchs bekommen, um welchen sich dann das gesamte Rudel kümmert. Je größer die Rudel, umso besser. Bis zu 30 Tiere können sie zählen.

Können die Wildhunde bellen?

Ein aufgeregt schnatterndes Zirpen, ein glockenartiger Kontaktruf ähnlich dem einer Eule: Die meisten Laute Afrikanischer Wildhunde erinnern eher an Vogelgeräusche. Sie können auf ihre Art auch bellen, knurren und winseln, sind insgesamt aber eher stille Tiere.

Können Wildhunde bellen? Wie sehen Wildhunde aus?
Afrikanische Wildhunde können bis zu drei Kilometer weit hören © Michael Poliza, WWF

Die Wildhunde werden etwa 90–140 Zentimeter lang und 18 bis 35 Kilogramm schwer, haben auffällig lange Beine und einen langen, buschigen Schwanz.

Demokratischer Niesanfall

Erst vor ein paar Jahren haben Forscher:innen in Botswana herausgefunden, dass die bedrohten Wildhunde in ihrem Rudel demokratische Entscheidungen treffen – und dass sie niesen, um abzustimmen, ob sie jagen gehen.
Genaugenommen ist es ein stoßartiges Ausatmen durch die Nase, das sich für uns wie ein Niesen oder Schnauben anhört und die Zustimmung zur Jagd gibt. Niesen ausreichend Hunde, geht es los. Möchte eins der dominanten Tiere auf die Jagd, benötigt es allerdings weniger Zustimmungs-Nieser als ein untergeordnetes Tier.

Effiziente, ausdauernde Jäger

Wie jagen Wildhunde? Was fressen Wildhunde? Wie schnell sind sie?
Gefährliche Räuber mit gefährlichem Gebiss © Martin Harvey, WWF

Haben Afrikanische Wildhunde eine Antilope, ein Gnu oder auch ein Warzenschwein als Beute ins Auge gefasst, gibt es kaum ein Entkommen. Mit einer Erfolgsquote von 70 Prozent oder mehr sind sie die effizientesten Jäger unter den großen Raubtieren unserer Erde. Sie jagen im Rudel mit Geschwindigkeiten bis zu 60 km/h und einer enormen Ausdauer. Ihr spezielles Gebiss lässt sie den Fang in Minutenschnelle zerlegen und fressen, bevor zum Beispiel Löwen oder Hyänen ihnen ihre Beute streitig machen.

Sind Wildhunde Hyänen?

Der Afrikanische Wildhund wurde vor allem früher auch Hyänenhund genannt, weil er einer Hyäne recht ähnlich sieht. Doch seine Ohren sind größer, das Fell bunter. Tüpfelhyänen sind stämmiger und schwerer mit ihrem typischen abfallenden Rücken. Vor allem aber sind Hyänen keine Hunde, sondern sind näher mit Katzen verwandt.

Sind Hyänen Wildhunde?
Tüpfelhyänen können Wildhunden die Beute streitig machen © Jasper Doest, WWF Netherlands

 

Kaum erforscht und stark bedroht

Afrikanische Wildhunde gehören zu den stark gefährdeten Arten und könnten aussterben, bevor man überhaupt mehr über sie weiß. Denn sie sind noch relativ wenig erforscht. So stammen die letzten Zahlen auch aus dem Jahr 2012. Nur noch etwa 6.600 Afrikanische Wildhunde soll es damals gegeben haben. Heute sind es vermutlich noch weniger.

Ihr Lebensraum ist durch Farmland und Siedlungen zerstückelt. Sie werden von Farmern gejagt, landen immer wieder auch in Schlingfallen, die gar nicht für sie gedacht waren und sterben an Krankheiten wie Tollwut oder Staupe. Viele voneinander abgeschnittene Populationen sind zu klein, um überlebensfähig zu sein. Den wohl größten Bestand gibt es noch im Schutz- und WWF-Projektgebiet Selous im Süden Tansanias.

Asiatischer Wildhund oder Rothund

Im Gegensatz zu ihren afrikanischen Verwandten leben die Asiatischen Wildhunde am liebsten in Wäldern – von Nadelwäldern über Trockenwälder bis hin zu Regenwäldern, von Indien und Indonesien bis nach China, ursprünglich sogar bis Südsibirien.

Welche Arten von Wildhunden gibt es? Wie schnell sind Wildhunde?
Asiatischer Wildhund, auch Rothund oder Dhole genannt © WWF Sweden / Ola Jennersten

Zwar werden die Rothunde nicht ganz so schnell wie die Afrikanischen Wildhunde mit ihren wesentlich längeren Beinen, aber erlegen bei ihren Hetzjagden Tiere, die wesentlich größer sind als sie selbst. Zu ihren Beutetieren gehören Hirsche und Wildrinder wie Gaur und Bantengs, aber genauso kleine Nagetiere und Vögel.

Auch die Asiatischen Wildhunde sind hochsozial. Und sie sind ebenfalls stark gefährdet. Viel zu wenig ist über ihre Bestände bekannt. Die Wissenschaftler:innen der Roten Liste schätzten 2015 ganz grob zwischen 4.500 und 10.500 Tieren. Klar ist nur, dass ihre Bestände abnehmen. Die Gründe sind vor allem Lebensraumverlust, immer weniger Beutetiere, Rachetötungen, wenn sie sich stattdessen an Nutzvieh herangemacht haben, und Krankheiten, die durch verwilderte Haushunde übertragen werden.

Wolf, Schakal & Co: Welche Wildhunde-Arten gibt es noch?

Auch wenn das Wort Wildhund im engeren Sinn häufig nur die Afrikanischen und Asiatischen Wildhunde bezeichnet, sind eigentlich alle wilden Hundearten Wildhunde. Dazu gehören Wölfe, Kojoten, Schakale und alle Füchse. Insgesamt gibt es auf der Welt 36 verschiedene Wildhundearten. Fünf davon, die Ihr vielleicht noch nicht kennt, möchte ich Euch hier noch kurz vorstellen, darunter eine bei uns eingewanderte Art, die aussieht wie ein Waschbär.

Marderhund: als Neozoon auch bei uns

Trotz ihres Namens ähneln Marderhunde durch ihre Gesichtszeichnung eigentlich eher den Waschbären. So heißen sie im Englischen auch Raccoon Dog, Waschbärhund. Aber sie haben nicht den gleichen schwarz-weiß geringelten Schwanz. Marderhunde sind eine der wenigen Hundearten, die auf Bäume klettern können.

Marderhund: Wildhund in Deutschland!
Marderhund: Wildhund in Deutschland © Getty Images / iStock / sduben

Sie besiedelten ursprünglich Ostasien, China und Ostsibirien bis Japan, wo die Hunde Tanuki heißen und heilig sind. Für die Pelzzucht in Pelzfarmen wurden sie nach Westrussland eingeführt und später zu Tausenden in der Ukraine ausgesetzt. Seitdem breiten sie sich bis nach Südeuropa aus. Auch bei uns sind sie inzwischen heimisch und haben sich gut in unsere Ökosysteme integriert. Die Marderhunde leben sehr versteckt in feuchten Wäldern und Flussauen und mögen als Allesfresser kleine Nagetiere, Vögel, Eier, Frösche, Fische, Schnecken, Insekten und Aas genauso wie Beeren und Früchte.
Als invasive Art steht der Marderhund auf der sogenannten Unionsliste — eine Liste invasiver gebietsfremder Arten in der EU — und unterliegt damit einem strengen Management.

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Ein weiterer „Einwanderer“ in Deutschland ist der Goldschakal. Neben diesen beiden nennen noch zwei weitere Wildhunde-Arten Deutschland ihr Zuhause: der Rotfuchs und der Europäische Grauwolf.

Hübscher Wildhund: Äthiopischer Wolf

Welche Arten von Wildhunden gibt es? Was sind Wildhunde?
Äthiopischer Wolf © Anne Hanschke, WWF

Apropos Wolf: Neben dem wohlbekannten Grauwolf gibt es auch noch den vom Aussterben bedrohten Rotwolf in den USA, sowie den ebenfalls sehr seltenen Äthiopischen Wolf. 2011 wurde ihr Bestand auf nur noch etwa 400 Tiere geschätzt. Ich selbst hatte das große Glück, gleich mehrere der hübschen Tiere im äthiopischen Hochland zu Gesicht zu bekommen, während in den umliegenden Dörfern bei den streunenden Haushunden die Tollwut umging:  Neben Lebensraumverlusten ein großer Bedrohungsfaktor für die stark gefährdeten Wölfe. Sie kommen nur in kleinen verstreuten Beständen, ausschließlich in den hochgelegenen Grasländern Äthiopiens vor. Dort gehen sie auf die Jagd nach Nagetieren, die sie gerne auch mal ausgraben und dabei Erdhaufen von bis zu einem Meter Höhe hinterlassen.

Löffelhund

Hund mit dem größten Gebiss: Löffelhund
Löffelhunde: Große Ohren und extrem viele Zähne © imago images / Nature Picture Library / Will Burrard Lucas

Der Löffelhund heißt im Englischen Bat-Eared Fox – Fledermausohren-Fuchs – und das beschreibt sein skurriles Aussehen noch etwas besser, finde ich. Die Wildhunde leben in den Gras- und Buschländern des südlichen und östlichen Afrikas. Sie werden 50 bis 60 Zentimeter groß, drei bis fünf Kilogramm schwer und ernähren sich hauptsächlich von Termiten und Käfern, was sie von allen anderen Hunden unterscheidet. Ihre großen Ohren nehmen jedes Geräusch der Insekten wahr und auch das Gebiss der Löffelhunde ist an die Nahrung angepasst: Mit besonders vielen, dafür aber stark verkleinerten Zähnen kann es sich bis zu fünfmal pro Sekunde öffnen und schließen. Mit bis zu 50 Zähnen ist dies die höchste Zahnzahl bei allen landlebenden Säugetieren (von Beuteltieren einmal abgesehen).

Waldhund

Welche Arten von Wildhunden gibt es?
Waldhunde haben Schwimmhäute © imago images / Clement Philippe

Waldhunde erinnern mit ihren kleinen, runden Ohren, ihren kurzen Beinen und dem gedrungenen Körper eher an Marder oder Dachse als an einen Hund. Sie haben Schwimmhäute zwischen den Zehen, um in sumpfigem Gelände nicht einzusinken. Denn die Wildhunde leben in der Nähe von Gewässern im nördlichen und mittleren Südamerika. Sie ernähren sich von verschiedenen Nagetieren, manchmal auch Gürteltieren, Opossums oder Schlangen. In der Gruppe gejagt erlegen sie sogar Nandus und Tapire. Auch Waldhunde sind durch den Verlust von Lebensraum und Beutetieren selten geworden.

Wildhund Südamerikas: Maikong

Welche Wildhunde-Arten gibt es? Wieviele Wildhunde gibt es?
Maikong, auch Krabben- oder Savannenfuchs genannt © imago images / Michael S. Nolan

Der Maikong ist die häufigste Wildhundeart in Südamerika. Er lebt sowohl in Grasländern, als auch in Wäldern und Feuchtgebieten. In letzteren sucht er im Schlamm nach Krabben, daher sein anderer Name Krabbenfuchs. Er ist aber nicht gerade wählerisch und frisst fast alles, was ihm vor die Nase kommt: kleine Säugetiere, Vögel, Eidechsen, Frösche, Fische, Insekten, Schildkröteneier, Aas, Beeren und Früchte. Der Maikong ist wahrscheinlich sogar ein wichtiger Samenverbreiter für eine Reihe von Wild- und Kulturpflanzen.

Und was ist mit dem Dingo?

Sind Dingos Wildhunde?
Ist der Dingo ein Wildhund? © imago images / Nature Picture Library / Jiri Lochman

Das noch kurz zum Schluss: Dingos sind keine echten Wildhunde, sondern vor sehr langer Zeit verwilderte Haushunde. Ihre Vorfahren wurden vermutlich vor 4.000 Jahren von asiatischen Seefahrern nach Australien eingeführt.

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5 Gründe, warum der Amazonas nicht Bolsonaro wählen würde

Brasilien wählt — und die Welt hält den Atem an. Denn es geht nicht nur um den Präsidenten, sondern auch um den Amazonas.

Der amtierende Präsident Jair Bolsonaro kandidiert erneut. Gegenkandidat ist Ex-Präsident Lula da Silva. Es ist kein Geheimnis, dass Naturschützer Bolsonaro bei einer Abwahl keine Träne hinterherweinen würden. Unter Bolsonaro hat sich der Raubbau am Amazonas nochmals verschärft, seine Politik ist eindeutig ganz klar für die zunehmende Zerstörung des Amazonas verantwortlich.

1) Bolsonaros Politik führt zu Abholzen

Der Amazonas ist einer der größten Naturschätze. Auch Bolsonaro findet den Amazonas wichtig. Er sieht ihn vor allem als Chance, mit der seine Anhänger richtig viel Geld machen können. Er möchte den Amazonas „entwickeln“. Das heißt mehr Landwirtschaft, mehr Infrastruktur, mehr Rohstoffabbau. Und weniger Schutzgebiete, weniger Rechte für Indigene, weniger Umweltgesetze – weniger Natur.

Während seiner Amtszeit ist die Abholzung stark gestiegen. Eine Fläche größer als Schleswig-Holstein ging verloren — pro Jahr!

Amazonas Bolsonaro: Indigene Demonstration und Polizei
Wir müssen die Indigenen beim Kampf um ihre Rechte und ihre Heimat unterstützen! © picture alliance / AP Images | Eraldo Peres

An vorderster Front im Kampf gegen Entwaldung stehen die Indigenen, die den Wald verteidigen und ihr Leben riskieren. Wie es gerade so eindrucksvoll in dem Film „The Territory“ zu sehen ist. Bolsonaro hat für die Indigenen, ihre Rechte und ihre Heimat nicht viel übrig. 2017 sagte er im Wahlkampf: „Kein einziger Zentimeter wird als Schutzgebiet für Indigene ausgewiesen.“ Und genauso kam es.

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2) Bolsonaro intensiviert Landwirtschaft

Der Amazonas wird hauptsächlich gerodet für Rinderweiden und Soja, das bei uns in den Futtertrögen von Schweinen, Kühen und Hühnern landet. So hängen unsere Bratwurst und unser Gouda damit zusammen. Da die Nachfrage nach Fleisch weltweit steigt, wittert Bolsonaro bessere Geschäfte und sagt: „Abholzung und Feuer werden niemals enden.“

Brasilien Amazonas: abgeholzter Regenwald im Gebiet der Madiha, auch Kulina,
Unter Bolsonaro wurde deutlich mehr abgeholzt © imago / Joerg Boethling

Ganz nebenbei bemerkt wurden unter Bolsonaro auch 1500 neue Pestizide zugelassen. Viele davon gelten auch als schädlich für uns Menschen und sind in Europa verboten.

3) Mehr Gold-Abbau unter Bolsonaro

Goldsucher hinterlassen schon seit Jahren regelrecht ein Schlachtfeld an Zerstörung. Inklusive Kinderarbeit und Quecksilbervergiftungen. Das hat natürlich erhebliche Folgen für die Gesundheit der Menschen vor Ort und die Umwelt. Wir wissen allein von über 2500 illegalen Goldminen.

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Im Februar 2022 unterzeichnete Bolsonaro ein Dekret, dass illegalen Goldabbau legal macht! Die Bestrafung krimineller Goldgräber soll erschwert werden. Das ist ein Freifahrtschein! Er rechtfertigte diese Gesetze mit Ressourcenmangel durch den Krieg gegen die Ukraine. Die Folgen sind kaum auszumalen: Allein im letzten Jahr sind 20.000 illegale Goldgräber in das Yanomami Schutzgebiet eingedrungen. Vieler Orts herrscht Mord- und Totschlag.

Amazonas Goldmine
So sieht Goldabbau am Amazonas aus © Edward Parker / WWF

4) Bolsonaro schwächt die Umweltbehörden

Bolsonaro hat kurzerhand das Geld für Umweltministerium und Umweltbehörden um ein Drittel reduziert. Sein Kalkül ist leicht zu durchschauen: Er will sie schwächen, damit er weniger Gegenwind bekommt. Von Umweltschutz hält er eh wenig. Das sei nur etwas für Leute, die Grünzeug essen.

5) Täuschen und Lügen

Vielleicht lebt Bolsonaro in einer anderen Realität. Oder er biegt sie eben zurecht, bis sie zu seiner Politik passt. Der Amazonas sei eine „Jungfrau“, sagt er einmal — und die sei nun bedroht. „Perverse“ wollten über den jungfräulichen Amazonas herfallen. Die in seiner Amtszeit grassierenden Feuer am Amazonas bezeichnete er als „Lüge“. “Tropischer Regenwald kann kein Feuer fangen”, behauptete Bolsonaro. Manchmal gibt er aber doch zu, dass es Feuer gibt. Die Schuld an den Bränden schiebt er aber auf Andere. Weil ihnen die Regierung Geld gestrichen habe, könnten sich Umweltorganisationen mit dem Anzünden des Waldes rächen, fantasierte Bolsonaro.  Und wer sonst als Leonardo DiCaprio soll diese Brände finanziert haben. Es wäre lustig, wenn es nicht so traurig wäre.

Warum die Amazonas-Politik so besonders wichtig ist

Der Amazonas-Regenwald verschwindet in alarmierendem Tempo. Daran wird der Wahlausgang am Sonntag erstmal nichts ändern. Er könnte an einen Kipppunkt gelangen, ab dem er sich nicht mehr erholen kann. Forscher gehen davon aus, dass dieser Punkt bei 20 Prozent, maximal 25 Prozent Verlust erreicht ist. Aktuell sind wir bei 18 bis 20 Prozent. Ein Großteil des Amazonas würde sich dann in eine Savanne verwandeln. Seine Funktion Treibhausgase zu absorbieren und Wasser zu recyceln wären damit verloren, ganz zu schweigen von der einzigartigen Biodiversität. Der Amazonas wäre nicht mehr die grüne Lunge unseres Planeten.

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Eines ist sicher: Wird Bolsonaro erneut Präsident, dann geht seine Politik auf Kosten des Amazonas weiter. Er hat bereits jetzt schon weitere verheerende Gesetze in der Schublade, wie Amnestie für Landräuber, die Freigabe von indigenen Territorien und Schutzgebieten für Landwirtschaft oder die Kontrolle des Obersten Gerichtshofs. Es ist die letzte Instanz, die ihm Einhalt gebieten kann.

Doch es gibt noch Hoffnung für den Amazonas. Die Brasilianer können sich an der Urne für einen anderen Weg entscheiden. Wir können die Ursachen der Abholzung durch unseren Konsum und unsere Politik beeinflussen. Und wir können die Indigenen vor Ort im Kampf für den Amazonas unterstützen. Wir können es schaffen. Helft uns dabei!

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“The Territory”: Der Kampf um den Amazonas

Der Dokumentarfilm “The Territory“ lässt uns über eine Zeit von drei Jahren in den Kampf des indigenen Volkes der Uru-eu-wau-wau um ihre Heimat im Amazonas Bundesstaat Rondônia eintauchen. Ein wichtiger, fesselender, ein dringlicher Film — mit einer Besonderheit.

Protagonisten des Films sind der junge Anführer der Uru-Eu-Wau-Wau, Bitaté, und Neidinha, die Leiterin der lokalen NGO Kanindé. Mit beiden arbeitet WWF Deutschland seit 2021 direkt zusammen, um sie bei ihrem Kampf und den anderer indigener und traditioneller Völker in Brasilien zu unterstützen.

Territory Film Neidinha Amazonas
Neidinha, die Mentorin von Bitaté und Direktorin von der WWF Partnerorganisation Kanindé, auf einer kürzlich illegal gerodeten Fläche im Territorium der Uru Eu Wau Wau © Marizilda Cruppe / WWF-UK

Der Kampf um die Gebiete der Indigenen im Amazonas tobt seit Jahrzehnten. Er spitzt sich aber immer dramatischer zu. In den 1970er Jahren erlebte der brasilianische Bundesstaat Rondônia intensive soziale und ökologische Umwälzungen, als Zehntausende, meist verarmte Stadtbewohner und landlose Lohnarbeiter dorthin zogen, um dem Versprechen der Regierung auf freies Land und dem Traum vom eigenen kleinen Stück Paradies nachzujagen. Es folgte ein Frontalangriff auf den Regenwald. Von der einzigen damals existierenden Hauptstraße abzweigend, schlugen die Siedler immer weiter verästelte Straßen in den Dschungel. Sie rodeten und besetzen Parzellen, um Platz für Acker- und Weideland zu schaffen.

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Wie sich das Muster aus Feldern, Straßen und Weideland einem Fischgrätenmuster gleich in den Urwald frisst, zeigt der Film gleich zu Beginn eindrücklich: Im Zeitraffer der historischen Entwicklung schrumpft der Regenwald weiter und weiter. Was bleibt, ist ein klar abgegrenztes Stück Erde: The Territory — das Territorium der Uru-Eu-Wau-Wau!

Dieser momentane Endpunkt einer Entwicklung ist das Sinnbild für alles, worum es in der Realität geht. In diesem Augenblick. Hier die Farmer, die für sich ein neues Leben schaffen wollen. Auf der anderen Seite die Indigenen, die ihr Land verteidigen. Der Film gibt beiden Perspektiven Raum.

Gegen eingeschleppte Krankheiten sind die Indigenen wehrlos

Die neu angekommenen Siedler betrachteten die indigene Bevölkerung als Feinde. Bei dem verzerrten Konflikt mit fliegenden Kugeln auf der einen und fliegenden Pfeilen auf der anderen Seite waren die Uru-Eu-Wau-Wau natürlich die Verlierer. Noch verheerender als die Gewalt waren die von den Siedlern eingeschleppten ansteckenden Krankheiten. Die indigenen Völker hatten dagegen keinen Imun-Schutz.

Entwaldung-am-Uru-eu-wau-wau-Schutzgebiet, Amazonas, Brasilien
Entwaldung am Uru-eu-wau-wau-Schutzgebiet © Andre Dib / WWF-Brazil

Während die Bevölkerung Rondônias in den 1970er und 80er Jahren um 15 Prozent pro Jahr anstieg, sank die Zahl der Uru-Eu-Wau-Wau von mehreren Tausenden auf knapp 200! Die Uru-Eu-Wau-Wau hatten aber auch Verbündete. Durch den Einsatz der Nationalen Behörde für Indigene (FUNAI), wurde 1991 die offizielle administrative Abgrenzung des indigenen Gebiets Uru-Eu-Wau-Wau genehmigt – des  Territoriums, um das in dem Film geht. Während anderswo in Rondônia die Wälder für Rinderfarmen und Sojaplantagen abgeholzt wurden, ist ihr 1,8 Millionen Hektar großes Reservat eine der letzten Bastionen unberührten Regenwaldes. Mindestens vier Gruppen isolierter indigener Nomaden wandern noch immer in den Tiefen Regenwalds, wie wir in dem Film erfahren.

Neue Angriffe unter Bolsonaro

Doch heute sind die überlebenden Mitglieder des Volkes einem erneuten Angriff ausgesetzt. Der Film beginnt 2018 wenige Tage vor der Machtübernahme des rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro. Bitaté und Neidinha verfolgen die Übertragungen der Hetzparolen des Präsidenten gegen die Indigenen mit Entsetzen. Sie ahnen was nun kommt. Die neue Attacke auf das Territorium der Uru-Eu-Wau-Wau wird durch Bauernvereinigung von Rio Bonito geführt. Die ist überzeugt, dass “die Indianer” zu viel Land haben. Skrupellos legen sie Feuer, roden und besetzen das Land. Die Kamera ist auch bei ihnen ganz nah dabei und schafft es, auch ein menschliches Bild der Invasoren zu zeichnen. Als perspektivlose Bauern, die von ihrem eigenen Land träumen und Gott und den Präsidenten auf ihrer Seite wähnen.

Einer meiner wenigen Kritikpunkte an dem Film ist, dass die mafiösen Strukturen der Großgrundbesitzer, die eigentlich hinter dem Landraub stehen, nur an einer Stelle benannt werden.

Der Konflikt um den Amazonas eskaliert

Der Konflikt eskaliert, als der sympathische Indigene Ari ermordet wird. Angeführt vom jungen Bitaté nehmen die Uru-Eu-Wau-Wau den Schutz ihrer Heimat nun selbst in die Hand. Sie patrouillieren ihr Gebiet, nehmen Beweise auf und verbrennen die Besitztümer der Eindringlinge auf ihrem Land. Der Kampf der Uru-Eu-Wau-Wau für den Schutz ihres Territoriums ist in ihrer uralten Verbindung zum Land verwurzelt. Bitaté beschreibt es so: “Wir haben eine besondere Liebe und Fürsorge für unser Territorium, weil unsere Vorfahren von dort stammen. Es ist der Ort, an dem die ganze Weisheit liegt. Unsere Kultur, unsere Traditionen, unsere traditionellen Lebensmittel und Heilpflanzen sind alle im Wald. Das ist ein Reichtum, den wir für künftige Generationen bewahren wollen. Deshalb haben wir für dieses Gebiet gekämpft. Und tun es immer noch”.

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Die wichtigste Waffe der Uru-Eu-Wau-Wau in diesem Kampf sind Kameras, Drohnen und GPS Geräte. Die Älteren hatten nicht die Möglichkeit, derartige Technologie zu nutzen. Bitaté hingegen hat handfeste Beweise.

Der Film zeigt nicht nur den verzweifelten Kampf gegen Umweltzerstörung und Landraub, sondern gibt den Uru-Eu-Wau-Wau eine Stimme. Auch im Rahmen des Films. Statt als privilegierter, weißer Filmemacher eine marginalisierte Gruppe als sympathische Opfer darzustellen, macht der Regisseur Pritz die Uru-Eu-Wau-Wau  zu Co-Produzenten des Films. Und lässt sie selbst die Kamera führen.

Territory Film: Amazonas Uru Eu Wau Wau überwachen ihr Territorium gegen illegale Eindringlinge
Amazonas Uru Eu Wau Wau überwachen ihr Territorium gegen illegale Eindringlinge © Marizilda Cruppe / WWF-UK

„The Territory“ ist dadurch ein authentisches Porträt einer bedrohten Gemeinschaft im Kampf um Heimat und Selbstbestimmung. Gleichzeitig mahnt der Film aber auch, dass das Schicksal der Uru-Eu-Wau-Wau und aller anderen Stämme eng mit unserem verknüpft ist. Denn die indigenen Territorien haben eine große Bedeutung für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Und für die Bekämpfung des Klimawandels weltweit. Allein in Brasilien leben etwa 305 indigene Gruppen mit unterschiedlichen Weltanschauungen und über 270 Sprachen. Ihre Gebiete nehmen 13 Prozent der Fläche Brasiliens ein. 97 Prozent ihrer natürlichen Vegetation ist noch erhalten!

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Oktober 2022 hat sich die Lage für die indigenen Völker nun noch einmal extrem verschärft. Es herrscht ein Klima der Angst und Gewalt in Brasilien, Waldbrände und illegale Abholzungen sind auf ungebremstem Rekordkurs.

Der Film ist am 18. und 23.10 im Rahmen des Human Rights Film Festival in Berlin zu sehen. (https://www.humanrightsfilmfestivalberlin.de/de). Streaming wird auf Disney+ im Dezember erwartet. Mehr Info zum Film findet ihr hier: https://films.nationalgeographic.com/the-territory

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Lasst uns die Flüsse wieder gesund machen!

Die Klimakrise schlägt zu. Zu Land, wo der ausbleibende Regen Ackerboden zu Wüsten macht. Und zu Wasser, wo große europäische Ströme plötzlich knöchelhoch durchwatbar werden. Manchmal auch, wo Land zu Wasser wird und große Fluten plötzlich alles mitreißen, was wir vorher in die Flussbetten und Auen gebaut haben. Ich habe die Bilder aus dem Ahrtal noch vor Augen. Genauso die der ausgetrockneten Loire diesen Sommer. Und auch die der Oder, mit hunderten Tonnen toter Fische vor einigen Wochen. Ein Extrem folgt dem nächsten. Das ist anstrengend, traurig, frustrierend und ermüdend. Hört es bald wieder auf? Ich meine: solange wir mit unseren Flüssen umgehen wie die Axt im Walde, eher nicht. Aber der Reihe nach.

Flüsse in der Klimakrise. Loire ausgetrocknet 2022
Fluss in der Krise: die Loire im Sommer 2022 © imago/Martin Bertrand

Wir machen die Flüsse krank

Flüsse haben vielfältige und wichtige Funktionen. Wir fahren auf ihnen, kühlen Kernkraftwerke mit ihnen, nutzen ihre Kraft zur Stromerzeugung. Entnehmen Fische, Trinkwasser und Brauchwasser, wir leiten Abwasser in sie ein… Die Liste ist lang. Damit das möglichst überall zuverlässig, standardisiert und jederzeit funktioniert, haben wir die Flüsse ganz schön in die Mangel genommen: eingedeicht, begradigt, ausgebaggert, aufgestaut und ausgeleitet. Viele Flüsse sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Und das macht sie krank.

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Ein Mensch, der sich bis zum Limit in unserer Leistungsgesellschaft verausgabt, ist anfälliger für Infekte. Ein Fluss, den wir für die maximale Ausbeute seiner Dienste an uns in unserer industriellen, hochtechnisierten Weise ausquetschen wie eine Zitrone, hat ebenfalls ein geschwächtes Immunsystem. Und Flusskrankheitserreger wie ausbleibender Regen, sehr viel Regen oder Hitzeperioden haben dann leichtes Spiel und geben dem geschwächten Fluss den Rest. Der Rest, das ist zum Beispiel ein Fischsterben, welches im Zusammenspiel von gestautem Wasser und Abwassereinleitungen in der Oder auftrat.

Es ist längst klar, was unsere Gewässer brauchen

Therapieansätze für kranke Flüsse gibt es reichlich. Sie liegen in Form der Wasserrahmenrichtlinie in den Schubladen jeder Wasserbehörde in Europa. Angewendet werden sie bisher jedoch nur unzureichend. Um das zu ändern ist der Internationale Tag der Flüsse wichtig, der Ende September gefeiert wird! Lasst uns den Flüssen die Aufmerksamkeit zukommen, die sie verdienen. Lasst uns Flüsse feiern, ihre natürliche und wunderschöne Unordnung, ihre dynamische Wasserführung, Wassertiefe, Breite und Fließgeschwindigkeit.

Stellt euch vor, jedes Blutgefäß in unserem Körper hätte ein von Blutbauingenieuren normiertes Standardmaß; wir wären nicht überlebensfähig. Ähnlich geht es den Flüssen, den Lebensadern unseres Planeten. Wo es möglich ist, müssen wir den Flussbetten ihren Raum und dem Flusswasser seine Zeit zurückgeben, durch die Landschaft zu fließen. Und wo diese Strukturen und Prozesse noch existieren, müssen wir sie schützen.

Flüsse heilen, nicht noch mehr schädigen!

Es ist richtig und wichtig den Ausbau der Erneuerbaren Energien jetzt mit hoher Priorität voranzutreiben, um die verheerenden, jetzt schon sehr sichtbaren Folgen der Klimakrise zu begrenzen. Warum in dem Zusammenhang jedoch auch der Kleinstwasserkraft ein „überragendes öffentliches Interesse“ eingeräumt wird, wie unlängst vom Bundestag beschlossen, bleibt mir unklar. Viele dieser Anlagen liegen in Kaskaden direkt hintereinander. In Flüssen, die so klein sind, dass sie bereits jetzt schon mit Trockenheit zu kämpfen haben. Im Sommer erwärmen sie sich stark, Sauerstoffmangel und Austrocknung drohen. Dem kranken System droht der Infarkt. Für einen Betrag von weniger als einem halben Prozent der deutschen Stromproduktion.

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Einem Arzt, der einem unter akutem Blutverlust im linken Arm leidenden Menschen therapeutisch intakte Blutgefäße im rechten abklemmt, würde man wahrscheinlich seine Approbation entziehen. Und mit der gleichen Logik, dem gleichen Bewusstsein und dem gleichen Herz sollten wir auf die Gesundheit unserer Flüsse achten. Sie vor Krankheiten schützen. Sie im Krankheitsfall bei der Heilung unterstützen. Und sie damit für die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten, denn am Ende profitieren alle davon: Die Flüsse, die mit ihnen verbundenen Ökosysteme und auch wir.

Viele haben das bereits verstanden und damit begonnen – das feiere ich.

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Acht Gründe gegen die Weiternutzung der Atomkraft

Hilft uns Atomkraft über den Winter? Wir sagen: Nein. Und wir haben gute Gründe, die gegen jede verlängerte Nutzung von Atomkraft in Deutschland sprechen.

Fraglos: Durch den russischen Angriffskrieg befinden wir uns in einer veränderten energiepolitischen Situation. Deutschland muss die Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern so schnell wie möglich beenden. Wir erleben stark ansteigende Gas- und Energiepreise, eine große Verunsicherung in der Bevölkerung und der Industrie sowie die Sorge vor drohenden Energieengpässen. Um Energieknappheit vorzubeugen, werden bereits stillgelegte Kohlekraftwerke übergangsweise wieder ans Netz genommen.

Verschiedene Parteien und Akteure fordern nun auch noch eine Laufzeitverlängerung der drei sich noch am Netz befindenden deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland.

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Hier sind die besten Gründe, warum eine verlängerte Nutzung der Atomkraft Quatsch ist und auf welche anderen Lösungen Deutschland stattdessen setzen sollte.

1.) Atomkraft kann Gas kaum ersetzen

Erdgas wird zum größten Teil zur Wärmerzeugung genutzt und kann damit nicht ohne weiteres durch Atomstrom ersetzt werden. Insgesamt könnte lediglich etwa ein Prozent des russischen Gases durch den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke eingespart werden. Deswegen wäre der Beitrag einer AKW-Laufzeitverlängerung zur Energieunabhängigkeit extrem gering.

2.) Es bleibt dabei: Atomkraft ist gefährlich

Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie. Das zeigt sich nicht zuletzt am ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Auch in Frankreich wurden in den letzten Monaten mehrere Atomkraftwerke wegen Sicherheitsbedenken vom Netz genommen. Atomkraftwerke müssen umfassend und regelmäßig überprüft werden. Die letzte große periodische Sicherheitsprüfung der deutschen Atomkraftwerke hat 2019 jedoch nicht mehr stattgefunden – mit der Begründung des baldigen Endes ihrer Laufzeit. Für einen Weiterbetrieb der Anlagen über das Jahr 2022 hinaus wäre eine neue Sicherheitsprüfung zwingend. So eine Überprüfung kann nicht mit einem kurzen Gutachten, wie kürzlich vom TÜV Süd veröffentlicht, abgetan werden. Eine verkürzte Sicherheitsüberprüfung wäre dagegen ein entscheidendes Sicherheitsrisiko für Deutschland.

3.) Atomkraft bringt uns nicht mehr Energie

Die Brennelemente in zwei der AKWs sind auf das Ende ihrer Laufzeit in 2022 ausgelegt. Die Beschaffung neuer Brennelemente könnte mindestens ein Jahr dauern. Alternativ können die verbleibenden Atomkraftwerke in einen sogenannten „Streckbetrieb“ gehen, in dem die Brennstäbe etwas länger genutzt werden. Allerdings muss hierfür ihre Leistung senken. Mit einem solchen Streckbetrieb könnten die Atomkraftwerke bis ins Frühjahr 2023 betrieben werden, würden insgesamt in der Summe allerdings nicht mehr Strom produzieren als im Betrieb bis Ende 2022. Es würde sich somit lediglich um eine zeitlich verschobene Stromproduktion handeln. Ein gewinnbringender Mehrwert ist nicht gegeben.

4.) Atomkraft braucht Gesetzesänderung

Die Atomkraftwerke müssen laut Atomgesetz bis Jahresende 2022 ihren Betrieb beenden. Für die verlängerte Nutzung braucht es eine Gesetzesänderung. Ein Weiterbetrieb käme einer Neugenehmigung durch den Bundestag gleich. Für diese Genehmigungen muss eine öffentliche Konsultation stattfinden sowie neue wissenschaftliche Gutachten erstellt werden. Unter (verfassungs-)rechtlichen Gesichtspunkten erfordert eine Laufzeitverlängerung eine neue, umfassende Risiko- und Güterabwägung des Gesetzgebers. Dies sind zum Teil sehr langwieriger Prozesse.

Einen guten Ort für den Atommüll gibt es nicht. © IMAGO / imagebroker

5.) Weiter ungeklärt: Was passiert mit dem Atommüll?

Bis 2031 muss laut Gesetz ein Endlager-Standort gefunden sein. Das hält aber nicht nur der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung Wolfram König jedoch für unrealistisch. Alle bisherigen Zwischenlager haben nur zeitlich begrenzte Sicherheitsgarantien. Die radioaktiven Abfälle bedeuten große gesamtgesellschaftlichen Kosten — und Risiken. Das Problem wird durch eine Laufzeitverlängerung nur größer, die Kosten werden auf kommende Generationen abgewälzt.

6.) Atomstrom ist eben nicht ökologisch

In der gesamten Wertschöpfungskette von Atomstrom wird eine erhebliche Menge Energie benötigt, zum Beispiel beim Uranabbau und der Atommüllendlagerung. Atomkraft ist also keineswegs CO2- neutral. In Frankreich werden die schädlichen Umweltauswirkungen von Atomreaktoren gerade an der kritischen Kombination mit der Erderhitzung deutlich: Während der stark zunehmenden Hitzewellen müssen die französischen Atomreaktoren stärker gekühlt werden. Dies geschieht mit dem Wasser aus bereits hitzegeplagten Flüssen, die sich dadurch noch weiter aufheizen und stärker austrocknen – mit gravierenden Folgen für das gesamte Ökosystem.

7.) Atomkraft ist zu teuer

Die enorm hohen gesamtgesellschaftlichen Kosten liegen im Bau der Kraftwerke und bei der Entsorgung und Endlagerung des Atommülls. Gerade bei einer kurzfristigen Verlängerung der AKW-Laufzeiten sind die hohen Kosten nicht zu rechtfertigen. Die erneuerbaren Energien bilden schon heute eine sichere und günstigere Alternative für die Stromproduktion. Oberste Priorität sollte daher ganz klar auf den schnellen Ausbau der Erneuerbaren liegen.

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8.) Es gibt umweltfreundlichere, sichere und günstigere Alternativen

In Europa ging die Erzeugung von Atomstrom von 2005 bis 2020 um ein Viertel zurück. Und auch weltweit wurden seit 2000 kaum neue Kraftwerke gebaut. Stattdessen stieg die installierte Leistung von Windenergie und Photovoltaik deutlich an. In der EU wurden seit der Jahrtausendwende 167 Gigawatt Windenergieleistung und knapp 150 Gigawatt PV-Kapazität zugebaut. Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise muss das noch deutlich, deutlich verstärkt werden. Aber klar ist: Erneuerbare Energien sind die zukunftsfeste, sichere und klimafreundliche Alternative zur Energiegewinnung. Auch jetzt müssen wir konsequent darauf setzen.

Wie immer man es auch wenden mag: Atomkraft kann keinen relevanten Beitrag zur Überbrückung der aktuellen Energiekrise leisten. Zahlreiche praktische, sicherheitsrelevante, finanzielle, rechtlich und politische Faktoren sprechen gegen einen Weiterbetrieb der Atomkraft. Gerade angesichts der nur sehr geringen Mengen an Atomkraft, die kurzfristig keinen relevanten Beitrag zur Überbrückung der Energiekrise leisten kann, muss der Schutz vor der Radioaktivität Priorität haben. Stattdessen sollte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und anderen Ländern darlegen, wie Energiesparmaßnahmen und erneuerbare Energien langfristig zu einer klimaneutralen Zukunft beitragen können — ohne radioaktiven Müll zu erzeugen.

Der Beitrag Acht Gründe gegen die Weiternutzung der Atomkraft erschien zuerst auf WWF Blog.