Schließt die Wildtiermärkte, jetzt!

Vor etwa drei Jahrzehnten, lange bevor ich das erste Mal von Corona hörte, hatte ich zum ersten Mal mit einem “wet market” zu tun. Ich war in der nordsulawesischen Stadt Tomohon in Indonesien. Heute ist der Tiermarkt als “extremer Markt” bekannt, ein passender Name, wenn man bedenkt, was ich bei einem Spaziergang durch die unzähligen Gänge und Stände mit Verkäufern erlebt habe. 

Es gab gerupfte Enten und Hühner, die an zusammengebundenen Füßen baumelten, und zu Haufen aufgetürmte Fische. Aber auch Tiere wie Babirusa, ein bedrohter “Hirscheber”, der auf Sulawesi endemisch ist. Oder Schopfmakaken, eine weitere seltene sulawesische Art, lebend in kleine Käfige gequetscht. Ich sah Waldratten, eine unheimliche Auswahl an Flughunden, die sich an die Latten ihrer Käfige klammerten. Und schließlich auch eine bunte Sammlung von Haushunden und Katzen, die aus ihrem Gehege bellten und miauten.

Corona-Notspende: Hilferufe aus der ganzen Welt

Ein Verkäufer machte sich über mich lustig, während ich zusah, wie er die Haare einer Katze von ihrem Kadaver rupfte. Ein anderer spaltete das Bein eines Sulawesi-Schweins und spritzte mir dabei Blut aufs T‑Shirt. Die Szene war auf so vielen Ebenen verstörend, aber damals war ich relativ naiv gegenüber den potenziellen Risiken für die menschliche Gesundheit, die dieser Markt und die vielen anderen in der Region darstellen.

Coronaviren: Dromedare an MERS erkrankt

Ich lebte im Norden Kenias und forschte mit Dromedaren, als meine geliebte Herde – zusammen mit anderen in der Grafschaft – positiv auf MERS (Middle Eastern Respiratory Syndrome) getestet wurde. MERS ist, wie vermutlich COVID-19 auch, eine Krankheit, die von Fledermäusen auf Kamele übertragen wird. Aber wie war das passiert? Wir kamen zu dem Schluss, dass MERS und andere Krankheiten verursachende Coronaviren seit vielen Jahren in Kamelpopulationen am Horn von Afrika zirkulieren. Das Übergreifen (Spillover) von Tieren auf Menschen blieb jedoch möglicherweise unentdeckt.

Coronaviren sind für die MERS-Erkrankung von Kamelen verantwortlich. © Martin Harvey / WWF
Coronaviren sind für die MERS-Erkrankung von Kamelen verantwortlich. © Martin Harvey / WWF

Inzwischen habe ich das Gefühl, den mikroskopisch kleinen “Krallen” der Coronoviren kaum noch entkommen zu können. Als SARS (Severe acute respiratory syndrome) ausbrach, lebte ich in Indonesien. Ich erinnere mich noch daran, wie ich zum ersten Mal in meinem Leben Masken außerhalb von Krankenhäusern getragen habe. Bis heute staune ich darüber, wie wenig sich die Leute dafür interessierten. Wie die Menschen nur kurz zuhörten und dann schnell wieder vergaßen. 

Covid-19: Vom Wildtiermarkt um die ganze Welt

Heute sind wir mit einer Pandemie konfrontiert, von der man annimmt, dass sie aus einem ähnlichen Umfeld stammt. Von einem Tiermarkt, auf dem Hühner, Kaninchen, Schweine zusammen mit wild gefangenen Arten verkauft werden. Inzwischen wissen wir: Ein solcher Markt war die perfekte Petrischale für einen Erreger, der eine Krankheit auslöste, die nun als Covid-19 bekannt ist. 

Folge uns in Social Media

Facebook
Twitter
Instagram
YouTube
RSS

COVID-19 zeigt uns, wie dringend wir unsere Beziehung zur Natur überdenken sollten. Aktuell ist es absolut entscheidend, unsere Bemühungen auf die Gesundheit und Sicherheit zu konzentrieren. Wir müssen aber auch nach vorne schauen und neu bewerten, wie wir das Risiko der Übertragung coronaler Viren und anderer Krankheiten vom Tier auf den Menschen verhindern oder verringern können.

Auf einem Tiermarkt soll das Corona-Virus auf Menschen übergesprungen sein. © Picture Alliance / AP
Auf einem Tiermarkt soll das Corona-Virus auf Menschen übergesprungen sein. © Picture Alliance / AP

Die Debatte über die Wechselbeziehungen menschlicher Handlungen und deren Folgen ist dringend notwendig und nimmt derzeit an Fahrt auf. Es geht darum, wie Abholzung,  Artenverlust, Verstädterung, Klimawandel, Agrarindustrie und Wildtier-Handel (legal und illegal) das Krankheitsrisiko erhöhen. Bis heute sind viele Zusammenhänge noch unklar. Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, dass es kompliziert ist.

Was macht Wildtiermärkte so gefährlich?

Auf Wildtiermärkten kommen tote Wildtiere (oder deren Teile) in Kontakt mit Jägern, Händlern und Konsumenten. Diese werden verzehrt oder ihre Produkte in irgendeiner anderen Art und Weise verwendet (z.B. Haustiere und Medikamente). Damit einhergeht, dass verschiedene Arten aus verschiedenen Regionen – wild, in Gefangenschaft oder domestiziert – vermischt und zusammen transportiert werden. All dies erhöht das Risiko, dass Krankheitserreger auf neue Wirte übertragen werden.

Die vorübergehende Schließung der Märkte für Wildtiere oder das Verbot des Verzehrs von Fleisch von Wildtieren, wie es von China im Februar erlassen wurde, sind daher sinnvolle und notwendige Sicherheitsmaßnahmen. Aber sie werden das eigentliche Problem nicht vollständig lösen. Wir müssen viel – und ich meine viel – mehr tun.

Schließt die Wildtiermärkte – jetzt!

Wir vom WWF fordern illegale und unregulierte Märkte sowie andere Hochrisikomärkte in der Nähe von Bevölkerungszentren zu beseitigen. Das gilt insbesondere dort, wo eine große Anzahl von Tieren – Haus- und Wildtiere; tote und lebende – in unmittelbarer Nähe verkauft werden. Vor allem solche, die Tiere wie Fledermäuse und Zibetkatzen anbieten, von denen bekannt ist, dass sie Coronaviren tragen.

Eine vom WWF in Auftrag gegebene Umfrage zeigt, die Bürger – zumindest in Asien – sind bereit, diese Märkte ein für alle Mal zu schließen. Die große Mehrheit der Befragten (93 Prozent) aus Gemeinden in Südostasien und Hongkong würden demnach die Beseitigung illegaler und unregulierter Märkte unterstützen. Und genau dafür ist es jetzt an der Zeit: Die Regierungen sollten auf die Stimmen ihrer Bürger hören und im Interesse ihrer Bevölkerung und der globalen Gesundheit handeln. Diese Märkte haben in unserer übermäßig vernetzten, globalen Gesellschaft keinen Platz mehr.

Die Unverbesserlichen überzeugen

Ein Teil der “eingefleischten” Konsumenten gab an, dass sie trotz staatlicher Verbote weiterhin Wildtiere auf illegalen Märkten kaufen würden. Zu den Tieren ihrer Wahl, die sie kürzlich gekauft haben, gehörten Vögel, Schlangen, Fledermäuse, Zibetkatzen, Schuppentiere und Schildkröten. Ihre Entschlossenheit angesichts der potentiellen Risiken zeigt den schweren Weg, der vor uns liegt. Nun wird es darum gehen diese Einstellung zu ändern und die Nachfrage verringern.

Gerade erst, zu Beginn des Monats, gelang es Behörden in Malaysia über sechs Tonnen afrikanische Schuppentiere aufzugreifen. Diese Beschlagnahmung unterstreicht zwei Dinge: das Ausmaß des illegalen Wildtier-Handels und die Dreistigkeit der Händler zu einer Zeit, in der die Welt unter einer Quarantäne steht, um die Verbreitung von COVID-19 einzudämmen.

Wildtiermärkte gibt es nicht nur in Asien

Märkte für Wildtiere (legale und illegale) gibt es nicht nur in Asien. Es gibt sie in den gesamten Tropen, sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten, aber auch beispielsweise in der Arktis oder Südafrika. Dort, wo Menschen alle möglichen Lebensmittel erhalten können, ist Wildfleisch in der Regel teurer und wird als Luxusmahlzeit oder Statussymbol gekauft. Für viele indigene Völker und diejenigen, die in ländlichen und abgelegenen Gemeinden leben, stellen Wildtiere jedoch oftmals eine lebenswichtige Proteinquelle dar – mitunter sogar die einzige.

Umfragen zeigen: Die Bevölkerung würde Schließungen der Wildtiermärkte unterstützen. © Ronny Adolof Buol / Picture Alliance-ZUMA Press
Umfragen zeigen: Die Bevölkerung würde Schließungen der Wildtiermärkte unterstützen. © Ronny Adolof Buol / Picture Alliance-ZUMA Press

Im Rahmen einer traditionellen Ernährung werden diese Wildtiere wohl immer eine (auch gerechtfertigte) Rolle spielen. Nur muss dabei auch die Sicherheit und die Hygiene mitbetrachtet werden. Die verantwortlichen Regierungen müssen sich jedoch ihrer Rolle bewusst werden und sich mit ihr auseinandersetzen. Dazu gehören Aufklärung und Bewusstseinsbildung über den Umgang mit Tieren. Aber auch sanitäre Einrichtungen, nachhaltiges Wildtiermanagement und die Unterstützung bei der Entwicklung alternativer Nahrungsquellen in ländlichen Gebieten.

Schließung nur der erste Schritt

Die Schließung illegaler, unregulierter und risikoreicher Märkte kann nur ein Teil der Lösung sein. Die Regulierung des Handels, eine stärkere Überwachung auf Krankheiten und strenge Tests der gehandelten Tiere auf Krankheitserreger sind weitere wichtige Schritte. Mangelnde Hygiene auf vielen gewöhnlichen Märkten, auf denen normales Nutzvieh, Geflügel und Meeresfrüchte verkauft werden, geben ebenfalls Anlass zu großer Sorge. 

Wie krank macht unsere Art zu essen?

Und vielleicht ist es sogar an der Zeit, unsere Lebensmittelproduktions ganzheitlich zu überprüfen. Die konventionelle Aufzucht von Vieh und Geflügel beispielsweise birgt ebenfalls erhebliche Risiken, dass Krankheitserreger von Tieren auf uns Menschen überspringen, wenn Sicherheitsaspekte missachtet werden. 

One Health: Umwelt, Menschen, Tiere

Auch wenn es keine Einheitslösung zur Verhinderung künftiger Pandemien gibt, so ist doch ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich. Es ist an der Zeit für einen gesundheitspolitischen Ansatz – One Health – der die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt als untrennbar miteinander verbunden betrachtet. Ein solcher integrierter Ansatz wird beitragen, wissenschaftliche Antworten zum Verständnis von Hochrisikoarten, Hochrisikogebieten und Hochrisikoverhalten zu liefern. Er wird auch unser Verständnis dafür verbessern, wo rechtliche Rahmenbedingungen vorhanden sind und funktionieren, wo sie fehlen oder nicht funktionieren und welche entscheidende Rolle die Durchsetzung und Korruption spielen.

Zeit, unsere Beziehung zu Tieren zu überdenken

Wenn die Welt eine Bilanz der Auswirkungen von COVID-19 zieht, haben wir die Gelegenheit, unsere Beziehung zu Wildtieren und zur Natur mit einem neuen Sinn für das Ziel neu zu definieren. Unser Umgang mit der Natur sollte mit einem tiefgreifenden Verständnis der Gaben einhergehen, die uns die Natur bietet, aber wir müssen die Natur schützen, um uns selbst zu schützen.

Der Beitrag erschien auf englischer Sprache am 6. April im Online-Magazin “Medium”.

Der Beitrag Schließt die Wildtiermärkte, jetzt! erschien zuerst auf WWF Blog.