Biodiversität: Warum wir Tiere brauchen

Ein neuer Report zu Biodiversität weist nach: Wir brauchen Tiere zum Überleben. Der Rückgang der Wildtiere ist katastrophaler als bisher angenommen. Die COP16 muss angesichts der Tatsache dringende Maßnahmen ergreifen.

Wir alle erleben Wildtiere in unserem täglichen Leben — sei es der Gesang eines Vogels oder die Spinne im Keller. Dennoch denken wir nur selten darüber nach, welch wichtige Rolle die erstaunliche Vielfalt an Wildtieren für unser eigenes Überleben spielt. Der neue WWF-Bericht Nature‘s Technicians beleuchtet diese oft übersehenen Aufgaben der Wildtiere in ihren Ökosystemen und hilft uns zu verstehen, wie eng wir mit der Tierwelt verflochten sind. Vom mächtigen Wal bis zum bescheidenen Mistkäfer sind alle Wildtiere wichtige Teile des Puzzles, welches das Leben auf der Erde ausmacht.

Warum wir Tiere brauchen

Wir brauchen Tiere, um Pflanzen zu bestäuben. Wir brauchen Tiere, die Baumsamen verteilen und sicherstellen, dass unsere Wälder gesund bleiben, sich regenerieren und so viel Kohlenstoff wie möglich speichern. Wir brauchen Tiere, um den Nährstofffluss innerhalb und zwischen den Ökosystemen zu erleichtern, um Wirtschaftszweige wie die Fischerei aufrechtzuerhalten und um Kipppunkte in wichtigen Biomen wie dem Amazonas zu verhindern.

WWF Bericht nature`s technicians
Der neue Bericht zeigt, welche Funktionen Tiere in ihren Ökosystemen haben © WWF

Wir brauchen auch die kleinen Tiere unter der Erde, um die Nahrungsmittelproduktion zu unterstützen und Überschwemmungen abzumildern. Wir brauchen eine ganze Reihe von Arten, darunter Aasfresser und Raubtiere, um uns vor Krankheiten zu schützen. Wir setzen unser eigenes Überleben aufs Spiel, wenn wir diese Arten verlieren. Und nicht nur ihre Existenz ist wichtig, sondern auch ihr Vorkommen und ihre Vielfalt. Wir brauchen genug von ihnen, die mit anderen Arten interagieren, damit sie die ökologischen Funktionen wirksam erfüllen können.

Rückgang der Populationen um 73 Prozent

Die Bedeutung wild lebender Tierarten ist faszinierend — und ernüchternd zugleich. Der Living Planet Report 2024 hat gerade einen durchschnittlichen Rückgang der wildlebenden Wirbeltierarten um 73 Prozent seit 1970 festgestellt. Nature‘s technicians macht deutlich, warum dieser Rückgang nicht nur für die Tierwelt, sondern auch für uns selbst verheerend ist.

Luchs im Wald
Beispiel Luchs: Fehlt er im Wald, gibt es viel zu viele seiner Beutetier — wie etwa Rehe © Julius Kramer / fokusnatur.de

Diese beiden Berichte hätten zu keinem kritischeren Zeitpunkt erscheinen können. In Kürze werden die Regierungen der Welt zur 16. Konferenz der Vertragsparteien des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CoP16) in Cali zusammenkommen. Sie diskutieren, wieviel die Staaten bereit sind zu geben, um den Verlust von Natur, einschließlich wild lebender Tierarten, aufzuhalten. Und umzukehren.

Welchen Weckruf brauchen wir noch?

Welchen Weckruf brauchen wir mehr als die Erkenntnis, dass der Rückgang der Wildtiere katastrophaler ist, als bisher angenommen? Dass ein weiterer Rückgang unsere Nahrungsmittelsysteme, unsere Wirtschaft und unsere Widerstandsfähigkeit gegenüber der Klimakrise zerstören könnte?

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Es gibt eine klare Verbindung zwischem dem Living Planet Report, Nature‘s Technicians und der CBD CoP16. Die CoP16 ist der Zeitpunkt, an dem wir die Ziele der Biodiversitätspolitik und ihre Ressourcen auf dem erforderlichen Niveau sichern müssen.

Wir haben die Lösungen und wir haben den Rahmen für entsprechende Maßnahmen. Lasst uns sicherstellen, dass die CoP16 als der entscheidende Moment in Erinnerung bleibt, in dem wir gemeinsam die Grundlagen für einen blühenden Planeten schaffen — für Wildtiere und Menschen gleichermaßen.

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Frühschicht in der Wildnis- wie enthornt man Nashörner

Die Zahlen sind erschreckend: Im ersten Halbjahr 2024 fielen in Südafrika mindestens 230 Nashörner Wilderern zum Opfer. Die Krise der vergangenen Jahre setzt sich fort. Um die Tiere zu schützen, setzen Naturschützer in vielen südafrikanischen Parks auf die Enthornung der Rhinos. Die Entfernung des nachwachsenden Horns ist schmerzlos, aber aufwendig und hilft, Wilderern das Geschäft zu verderben. Unsere Kollegin Ursina Rusch vom WWF Südafrika war dabei. Ein Erfahrungsbericht.

Frühschicht im Busch

“Wie jeden Tag klingelt mein Wecker um 5:30 Uhr. Ich krieche aus meinem Zelt im Basislager. Noch ist es dunkel, und ich mache mich auf den Weg zu den Gemeinschaftswaschanlagen. Bei Tagesanbruch huschen einige von uns durch die Küche, stopfen ein paar Snacks in ihre Taschen und trinken schnell eine Tasse Kaffee. Ich werde einem der Helikopterteams zugeteilt. Mein Job heute ist es, diverse biologische Proben von jedem enthornten Nashorn zu sammeln.

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Wir arbeiten in Fünferteams: eine Person mit der Kettensäge, um das Rhino zu enthornen, ein Schreiber, der Detailinfos über alle Nashörner aufzeichnet, ein Probensammler und zwei „Muskel-Typen“. Deren Job ist es, die betäubten Nashörner in eine stabile und sichere Position zu bringen.

Jedes Team (normalerweise sind zwei oder drei solcher Teams unterwegs) wird mit einem großen Hubschrauber von einem Nashorn zum nächsten geflogen. Ein Tierarzt fliegt in einem kleineren Helikopter voraus, aus dem er die Nashörner durch einen Schuss mit dem Betäubungsgewehr narkotisiert.

Es braucht kräftige Muskeln, um die betäubten Kolosse in eine sichere Position zu bringen. ©Ursina Rusch/ WWF Südafrika

Mein Team, hat Glück – wir dürfen in die iMfolozi-Wildnis fliegen, um den Tag zu beginnen. Was für ein Privileg, am frühen Morgen über ein wunderschönes Schutzgebiet zu fliegen! Wir fliegen über nebelbedeckte Täler in die Morgensonne und wecken Herden von Büffeln, Gnus, Impalas und den einen oder anderen Elefanten.

Bibbern mit traumhaftem Ausblick

Ziemlich durchgefroren (der Helikopter fliegt ohne Türen), landen wir bei den ersten zwei Breitmaulnashörnern, die unser Veterinär bereits narkotisiert hat. Es handelt sich um einen Bullen und ein Kalb. Ungewöhnlich. Normalerweise sind die Jungtiere mit ihren Müttern unterwegs. Aber während unserer Einsätze stoßen wir häufiger auf junge Nashörner mit erwachsenen Männchen. Wir vermuten, dass dies auf die hohe Wilderei im Park zurückzuführen ist.

Manche Tiere haben Schusswunden, die bei der Enthornung gleich mit versorgt werden. © Ursina Rusch/WWF Südafrika

Wilderei hinterlässt ihre Spuren

Wenn ein Weibchen erschossen wird, lassen die Wilderer manchmal ein Kalb zurück. Ist das Waisenkind noch auf Milch angewiesen, sind seine Überlebenschancen winzig. Finden es die Ranger nicht innerhalb von 48 Stunden, verhungert es in der Regel oder wird zur leichten Beute von Raubtieren. Größere Kälber suchen jedoch oft nach Artgenossen, denen sie sich anschließen können, und es scheint, dass erwachsene Bullen nichts dagegen haben, ein oder zwei Waisen im Schlepptau zu haben.

Wir nehmen uns den Bullen und das Jungtier vor, entnehmen Blut‑, Haar- und Kotproben für Forschungszwecke und versehen beide mit einem Mikrochip. Die ganze Prozedur geht schnell. Der Rekord liegt bei sieben Minuten! Enthornung inclusive. Nach der Behandlung verabreichen wir den Tieren ein Gegenmittel. Innerhalb von ein bis zwei Minuten sind sie wieder auf den Beinen. Wir rufen per Funk den Helikopter, und ab geht´s zum nächsten Patienten.

Ursina Rusch bei der Entnahme einer Blutprobe. Die Enthornung wird mit einem Gesundheitscheck kombiniert. © WWF Südafrika

Knochenjob für eingespielte Teams

Die Teams sind eingespielt. An einem guten Tag schaffen sie es, 30 bis 40 Nashörner zu enthornen. Aber der Job ist harte Arbeit. Aufgrund des steilen Geländes oder des dichten Busches kann der Heli oft nicht in der Nähe der betäubten Tiere landen, und so rennen wir mit der kompletten Ausrüstung oft über hügeliges Gelände und durch den dichten Busch.

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Ein Knochenjob, der im Laufe der Wochen seine Spuren hinterlässt. Der Rücken schmerzt, die Knie kribbeln und der Körper fühlt sich immer schwerer an, wenn frühmorgens der Wecker klingelt. Und dennoch: Ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns diese Arbeit gegen einen anderen Job eintauschen würde.

Nicht alle passen in den Hubschrauber. Wer Pech hat, muss sich mit dem Jeep auf den Weg zurück ins Camp machen.      © Ezemvelo /KZN Wildlife

Gegen Mittag macht die Hitze dem morgendlichen Einsatz ein Ende. Wir versammeln uns alle an der Helikopter-Tankstelle und losen, wer mit den Hubschraubern zurück zum Camp fliegen darf. Wer Pech hat, muss den Rückweg mit dem Jeep antreten. Der braucht eine halbe Stunde länger. Heute habe ich Glück und  gewinne einen Sitzplatz im Helikopter.

Vom Heli an den Laptop

Zurück im Basislager drängen wir uns noch einmal in die Küche – hungrig, durstig, staubig und müde. Nach einer kurzen Dusche mache ich mich mit meinem Laptop auf den Weg zu den Büros, um mit meiner normalen Arbeit als Populationsmanager für das Projekt zur Erweiterung des Spitzmaulnashorn-Gebietes des WWF zu beginnen.”

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Spinnen: Netzwerker mit Imageproblemen

Sie haben Beine bis zum Hals, sind stubenrein und machen keinen Lärm, dennoch habe sie ein Imageproblem: Spinnen. Vielleicht liegt es daran, dass man ihnen so schlecht in die Augen schauen kann, denn die meisten Arten haben gleich acht davon. Da verliert so mancher Beobachter schon mal die Orientierung.

Dass sie keiner Fliege etwas zuleide tun, kann man zwar nicht gerade behaupten, aber ihre Gefährlichkeit wird weit überschätzt: Giftig sind zwar fast alle, aber für Menschen stellen sie normalerweise keine Gefahr dar.

Potenziell gefährlich für den Menschen sind wohl nicht mehr als zwei Dutzend Arten. Sie leben vor allem in den Tropen. Ihre nordischen Vertreter sind eher harmlos — zumindest wenn man keine Mücke ist.

Unter Verdacht: Nach Bissen der Braunen Violinspinne kam es in Italien zu Todesfällen. © Macrolife / Stock-Getty Images

Das gilt auch für die (inzwischen) bei uns heimische „Spinne des Jahres 2023“, den Ammendornfinger. Sie gilt als die giftigste Spinne Deutschlands. Sie schnappt äußerst selten zu, aber wenn, dann fühlt es sich an wie ein Wespen- oder Bienenstich. Das tut weh und wenn es dumm läuft,  kann es Juckreiz, Übelkeit und leichtes Fieber auslösen. Das wars dann aber auch schon.

Kommt es wirklich zu Todesfällen, wie zuletzt in Italien nach Bissen der Braunen  Violinspinnen, spielen oft Vorerkrankungen, bakterielle Infektionen oder allergische Reaktionen eine Rolle.

Vampire im Anmarsch

Kein wirklicher “Netzwerker”: Die Nosferatuspinne. Sie ist kein Netzjäger, sondern überwältigt ihre Opfer im Sprung. Mit ausgestreckten Beinen misst sie bis zu sechs  Zentimetern. Inzwischen ist sie auch in Deutschland heimisch, aber das ist kein Grund zur Panik. © IMAGO / Panthermedia-membio

Beruhigend für Arachnophobiker: Hierzulande ist die Violinspinne noch nicht aufgetaucht. Dafür breitet sich ein anderer unheimlicher Vertreter der Achtbeiner aus: Die Nosferatu Spinne. Ihren Namen erhielt die Spezies aufgrund der auffälligen Zeichnung auf dem Vorderleib. Mit viel Phantasie erinnert das Muster an den gruseligen Vampir aus dem berühmten Vampir-Film „Symphonie des Grauens“. Im Unterschied zu dem Blutsauger ist das Tier harmlos. Ihr “Netzwerk” in Deutschland wächst, obwohl sie gar keine Netze webt. Inzwischen wurden hierzulande mehr als 35.000 Exemplare gesichtet. Sie  stammen aus dem Mittelmeerraum. Die zugewanderten Tiere gehen nicht auf die Netzjagd, sondern attackieren ihre Opfer im Sprung. Trotzdem produzieren auch sie seidene Fäden, um sich gegebenenfalls wie Spiderman von Hindernissen abzuseilen. Zudem nutzen sie die Technik, um ihren Kokon mit ihren Eiern einzuweben.

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Vielfraß: Spinnen fressen Millionen Tonnen Beute

Auf diese Weise verputzen sie gewaltige Mengen. Es werden zwar immer mal wieder vegetarische Achtbeiner beobachtet, aber die meisten verschmähen pflanzliche Kost. Forscher schätzen, dass Spinnen jährlich zwischen 400 und 800 Millionen Tonnen an Beute verzehren — und damit mehr Fleisch fressen als die gesamte Menschheit. Kaum zu glauben!

Wer zweifelt, der möge bedenken, dass die Ordnung der Webspinnen mehr als 52.000 Arten umfasst. Nimmt man die Verwandten, wie Milben (inkl. Zecken), Weberknechte, Pseudoskorpione und Skorpione dazu, gehören sogar mehr als 120.000 Spezies zu den Arachniden, den Spinnentieren.

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Kannibalismus bei Spinnen: Liebe bis zum Tod

Wenn es um etwas zu Beißen geht, sind die Krabbeltiere nicht sonderlich wählerisch. Auch dies ist ein Kapitel, das ihnen nicht gerade Sympathiepunkte einbringt: Kannibalismus. Berüchtigt sind die Schwarzen Witwen. Nicht nur Spinnendamen dieser Arten haben ihre Liebhaber häufig zum Fressen gern und verspeisen ihren Galan nach getanem Liebesdienst. Allerdings trifft man dieses mörderische Nachspiel nur bei Arten, bei denen die Männchen viel kleiner sind als ihre Bräute.

Zur Ehrenrettung der Spinnenmamas sei erwähnt, dass viele nicht wesentlich länger überleben als die Väter. Nach der Eiablage dienen sie nicht selten dem eigenen Nachwuchs als Futter.

Nicht alle Spinnen sind Einzelgängerinnen. In Afrika und Lateinamerika bilden einige Arten auch Kolonien und weben riesige Netze. © IMAGO /Nature Picture Library

Hirngespinnste in der Yucca-Palme

Apropos Eiablage: zu den Legenden des Alltags gehört die Geschichte von der Spinne in der Yucca-Palme, die ihre Eier unter die menschliche Haut legt. Der Nachwuchs schlüpft dann später aus pickelähnlichen Kratern. Spinnerei und ein typischer Fall von Täter-Opfer-Umkehr!

Der Tarantula-Falke ist weder Vogel noch Spinne, sondern eine Wespe, die ihre Eier in Vogelspinnen ablegt. ©IMAGO/Pond5/Images

In Wirklichkeit pflegt diese Praxis der Tarantula-Falke und der ist weder Spinne noch Vogel, sondern ein Insekt. Die Opfer: ausgerechnet Vogelspinnen. Die werden durch das Gift der Wespe gelähmt, in die Bruthöhle geschleppt und bei lebendigem Leib von der Insektenbrut vertilgt. Pfui Spinne!

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Zurück zu Natur — Was bringt das Nature Restoration Law?

Vor 17 Jahren wurde unter dem damaligen Umweltminister Siegmar Gabriel das Ziel ausgegeben, den Rückgang der Biodiversität innerhalb von nur drei Jahren aufzuhalten. Es blieb ein frommer Wunsch. Die Trendwende blieb aus.  Der Verlust der Artenvielfalt schritt weiter voran. Inzwischen gelten hierzulande etwa ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten als gefährdet. Zwei Drittel unserer geschützten Lebensräume sind in schlechtem Zustand.

Vor allem bei der Renaturierung von Mooren und Feuchtgebieten bleibt einiges zu tun. ©Claudi Nir/WWF

Jetzt kommt endlich ein neuer Versuch, das Sterben zu stoppen: Mitte August tritt die  europäische Naturwiederherstellungsverordnung, das Nature Restoration Law, in Kraft. Eine Regelung, die  sich  als „Gamechanger“ erweisen könnte. Die Verordnung gilt als wichtigstes EU-Naturschutzgesetz seit Jahrzehnten. Richtig umgesetzt, wird sie entscheidend zum dringend notwendigen Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen beitragen.

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Papier ist geduldig

Manchmal muss der Mensch nachhelfen, damit die Natur sich erholen kann. ©Silas Ismael/WWF-Brazil

Deutschland- und europaweit gibt es ein riesiges Netz an Naturschutzgebieten.  Es gibt mit der Flora-Fauna-Habitat‑, der Wasser-Rahmen- und der Vogelschutzrichtlinie wegweisende europäische Vorgaben. Sie sind zum Teil seit Jahrzehnten in Kraft.  Trotzdem ist die Natur  nicht ausreichend geschützt. Papier ist geduldig! Den Niedergang der Natur haben die Richtlinien nicht aufgehalten. Die in den vergangenen zwei Jahren in einem Politikkrimi ohnegleichen umkämpfte Wiederherstellungsverordnung soll frühere Fehler ausbügeln. Auch wenn das Gesetz im politischen Verfahren durch Abschwächungen und Ausnahmen an Substanz verloren hat, birgt es die Chance für einen Neustart. Das Nature Restoration Law soll das Artensterbens in Europa stoppen und für mehr Widerstandsfähigkeit gegen die Folgen der Klimakrise wie Dürren, Überflutungen und Waldbrände sorgen.

Wie konnte es mit unserer Natur überhaupt so weit abwärts gehen und was muss man sich unter ihrer Wiederherstellung vorstellen? Die Ursachen für das Artensterben liegen in der Übernutzung und Schädigung der Natur durch den Menschen.  Hohe Stickstoff- und Pestizideinträge in der Landwirtschaft, die intensive Bewirtschaftung von Feldern und Wäldern haben genauso ihre Spuren hinterlassen wie Verluste und Zerschneidung natürlicher Flächen durch Versiegelung der Böden oder Verkehrsprojekte. Hinzu kommt die Verschmutzung von Gewässern und die zunehmende Erderwärmung.

Wiedervernässen, Entsiegeln, Aufforsten

Noch immer sind Staustufen und Dämme oft unüberwindbar für Wanderfische. ©Claudi Nir / WWF

Wiederherstellung kann bedeuten, der Natur zu erlauben, sich weitgehend ohne schädigende Einflüsse des Menschen zu erholen. Oft ist dazu ein aktives Eingreifen nötig. Manche Maßnahmen setzen auf eine veränderte oder schonendere Nutzung der Natur. Als Wiederherstellungsmaßnahmen gelten beispielsweise die Wiedervernässung entwässerter Moore, der Waldumbau hin zu naturnäheren und klimaresilienteren Wäldern. Wichtig ist zudem das Zurückverlegen von Deichen, um Flüssen mehr Raum zu geben und neue Auen zu schaffen. Zur Renaturierung gehören auch eine durch mehr Baumreihen, Feldgehölze und Hecken aufgelockerte Agrarlandschaft, die vielerlei Arten Rückzugsraum bietet, besser geschützte Naturschutzgebiete und mehr Parks und Grünflächen in den Städten.

Befreite Flüsse und drei Milliarden Bäume

Die nun in Kraft tretende EU-Naturwiederherstellungsverordnung zielt auf die langfristige Erholung der europäischen Ökosysteme an Land und in den Meeren ab. Dafür sollen bis 2030 auf 20 Prozent der Landes- und Meeresfläche Europas Wiederherstellungsmaßnahmen erfolgen – bis 2050 auf allen geschädigten Naturflächen. Die Verordnung macht Vorgaben zur Verbesserung des Zustands europäischer FFH- und Vogelschutzgebiete. Sie schreibt überprüfbare Verbesserungstrends für den Wald, die Agrarlandschaft und den Zustand von Insektenpopulationen vor. Europaweit soll das Ziel von zusätzlich 25.000 Kilometern freifließender Flüsse erreicht werden. Es sollen Moore wieder vernässt, drei Milliarden Bäume gepflanzt und innerstädtische Grünflächen ausgebaut werden.

So geht Naturschutz: Rückbau eines Wehrs. © Olaf Obsommer / WWF

Wird das eines Tages wahr, ist nicht nur der Natur gedient, sondern auch uns Menschen – nicht zuletzt haben die Maßnahmen sehr positive Effekte für den Klimaschutz und die Klimaanpassung. Eine intakte Natur erbringt unentbehrliche Ökosystemleistungen, liefert wichtige Rohstoffe, sorgt für fruchtbare Böden, sauberes Trinkwasser und saubere Luft. Wildbienen leisten als Bestäuber unbezahlbare Dienste für unsere Lebensmittelversorgung. Grünflächen liefern Feuchtigkeit und Kühle. Ein gut gemachter Waldumbau und die Renaturierung von Flüssen wirken sich positiv auf den Landschaftswasserhaushalt aus, was angesichts zunehmender Dürren dringend erforderlich ist. Intakte Moore und Wälder sind nicht nur wertvolle Ökosysteme, sondern dienen zugleich als CO2-Speicher.

Zeit, die wir nicht haben

Doch erst einmal muss dem Gesetz Leben eingehaucht werden. Das kann bis 2027 dauern, denn zunächst müssen die EU-Mitgliedsstaaten auf ihre Bedingungen angepasste Nationale Wiederherstellungspläne entwickeln. Anschließend muss die EU-Kommission Grünes Licht geben. Hier verstreicht zu viel Zeit, nicht nur, wenn man bedenkt, dass Renaturierungsprojekte oft viele Jahre dauern.  Sondern auch vor dem Hintergrund, dass das von allen EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnete Kunming-Montreal-Abkommen den Stopp des weltweiten Biodiversitätsverlustes bis 2030 anpeilt. Die deutsche Bundesregierung muss mit der Wiederherstellung der Natur deshalb in Vorleistung gehen und tut das auch mit dem  „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“. Dieses darf keiner Sparrunde zum Opfer fallen und muss von der nächsten Regierung ungemindert fortgeführt werden.

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Gemeinsam geht es besser

Die Naturwiederherstellungsverordnung dürfte zu intensiven Diskussionen um eine naturnähere Land- und Forstnutzung führen. Sie kann nur mit den Landnutzenden gemeinsam umgesetzt werden. Tragfähige Einkommensquellen in diesen Bereichen bleiben ein zentrales Thema. Gut organisierte Beteiligungsformate müssen die Erstellung des Nationalen Wiederherstellungsplans flankieren. Schwarz-Weiß-Denken sollte von allen Seiten überwunden werden.

 

Erlenbruch des WWF in der Uckermark (von unserem ehemaligen Mitarbeiter Thomas Neumann
Auch so kann ein Wald aussehen. Erlenbruch des WWF in der Uckermark. © Thomas Neumann /WWF

Trotz oft erbitterten Streits ist die Naturwiederherstellungsverordnung ein wunderbares Erbe der gerade beendeten EU-Parlamentsperiode. Sie bietet erneut die Chance einer Trendwende. Nun kommt es darauf an, diese nicht ungenutzt verstreichen zu lassen.

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Pantanal, Cerrado und Amazonas: Warum es in den wichtigsten Biomen Brasiliens brennt

Es brennt im Pantanal, so schlimm wie nie. Obwohl die Trockenzeit erst beginnt. Auch im Cerrado und Amazonas lodert es auf Rekordniveau. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2024 brachen die wichtigsten brasilianischen Biome Rekorde. Außerdem sinken die Wasserpegel des Pantanal und vieler Flüsse in atemberaubendem Tempo.

  • Das Pantanal ist fast halb so groß wie Deutschland. Im größten Süßwasserfeuchtgebiet der Erde wüten momentan die meisten Feuer seitdem Brände von Satelliten des National Institute for Space Research (INPE) überwacht werden. Im Pantanal wurden 3262 Brände entdeckt, 22-mal mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
  • Auch der Cerrado bricht dieses Jahr alle Feuerrekorde. Bis Ende Juni wurden mit 12.097 Brandherden die meisten Feuer seit 1998 gezählt.
  • Aber es brennt auch im Amazonas: Die Zahl der Feuer ist die höchste in den letzten 20 Jahren. Hier wurden fast 13.000 Brände festgestellt, ein Anstieg von mehr als Dreiviertel im Vergleich zum Vorjahr. Und dass, obwohl die Entwaldung im Amazonas seit dem Amtsantritt von Präsident Luna da Silva deutlich zurückgeht. Diesmal liegen die Ursachen nicht nur bei Brandrodung

Es besorgt mich und meine Kolleg:innen sehr, dass die Situation schon zu Beginn der Trockenzeit so dramatisch ist. Das Feuchtgebiet Pantanal erlebt eine schwere Dürre. Die knappen und unregelmäßigen Regenfälle reichten nicht aus, damit die Flüsse überlaufen und die eigentlich typische Seenlandschaft schaffen — den Lebensraum für Kaimane, Riesenotter, Ameisenbär und Jaguar. Stattdessen kamen die Feuer. Schon jetzt sind es mehr Feuer als 2020, als ein Drittel des Pantanal brannte und wahrscheinlich mehr als 17 Millionen Wirbeltier getötet wurden.

Cerrado, die “Wiege des Wassers”

Das Wasser des Pantanal kommt aus dem Cerrado, einer riesigen Savanne, die sich über zwei Millionen Quadratkilometern von Zentralbrasilien bis nach Bolivien und Paraguay erstreckt. Der Cerrado ist ein Biodiversität-Hotspot und beheimatet unzählige endemische Arten. Aber noch wichtiger: Die Hochebenen des Cerrado sind als Berça das águas bekannt, als Wiege des Wassers. Hier liegen die Quellen einiger der größten Flüsse des Landes. Sie versorgen das Amazonasbecken, das Pantanal, den Atlantischen Regenwald, ein Großteil der Landwirtschaft und die größten Ballungsgebiete Brasiliens.

Feuer im Pantanal, Brasilien
Es brennt im Pantanal so oft wie nie zuvor
© IMAGO-Xinhua-LucioTavora

Die ökologische Bedeutung des Cerrado wird aber leider missachtet. Im Cerrado wird weiter gnadenlos abgeholzt, hier geht die Umwandlung in landwirtschaftliche Flächen fast ungebremst weiter. Aus der Savanne werden Rinderfarmen, Soja- und Maisfelder. Der Cerrado hat in den letzten zwei Jahrzehnten fast 60 Prozent der ursprünglichen Vegetation verloren. Und daran tragen wir eine Mitschuld. So stammen beispielsweise 70 Prozent des in die EU importierten Sojas, das mit Naturzerstörung in Verbindung gebracht wird, aus dieser Region.

Cerrado, Brasilien: Wo Savanne war ist jetzt eine Kaffeeplantage
Cerrado: Wo Savanne war ist jetzt eine Kaffeeplantage © IMAGO / Pond5Images

Die Konsequenten zeigen sich jetzt: Ohne die wasserspeichernden Wälder des Cerrado trocknen die Flüsse und Feuchtgebiete zunehmend aus. Die Folgen der Klimakrise und das Phänomen El Niño verschärfen die Wasserknappheit. Großen Teilen Brasiliens geht das Wasser aus, auch wenn es nicht in Flammen aufgeht.

Doch es gibt bei aller Sorge für mich auch Hoffnung: Schutzgebiete und Indigene Territorien sind echte Brandmauern! Satellitenbilder zeigen deutlich: Wo Schutzgebiete sind und wo Indigene Territorien liegen, ist der Wald in einem deutlich besseren Zustand. Studien untermauern dieses Bild mit eindeutigen Zahlen: Nur 1,6 Prozent der Entwaldung im Amazonas der letzten Jahrzehnte betrafen Indigene Territorien. Im Amazonasgebiet fanden fast 90 Prozent der Entwaldung außerhalb von Schutzgebieten statt.

Schlüsselbiom Cerrado

Jedoch ist der Cerrado weitaus weniger geschützt als der Amazonas. Weniger als ein Zehntel steht unter Schutz, dazu kommen fünf Prozent indigene Territorien. Im Amazonas dagegen sind zusammengenommen mehr als die Hälfte des Gebiets. Deshalb setzt sich der WWF für Ausweisung neuer Schutzgebiete und für die Landrechte traditioneller und indigener Völker im Cerrado ein. Wir brauchen gemeinsame Anstrengungen, um die Entwaldung zu kontrollieren, um uns von degradierten Gebieten zu erholen. Es reicht eben nicht „nur“ den Amazonas zu schützen. Alles hängt mit allem zusammen. Wir müssen auch den Cerrado schützen, wenn wir das Pantnal und den Amazonas retten wollen.

Wir vom WWF tun alles, um auch die Regierung in Brasilien davon zu überzeugen, dass auch der Cerrado deutlich mehr Schutz braucht. Es würde mich sehr freuen, wenn ihr unsere Arbeit weiter unterstützt! Es fühlt sich heute wichtiger als jemals an.

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