Ich bin jetzt 25. Laut Lebenserwartung einer deutschen Frau habe ich noch um die 55 Jahre Leben vor mir. Ich brauche jetzt ihn: den echten Klimakanzler. Und hier kommt, was er jetzt tun muss.
„Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.“
Das stammt aus dem historischen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021 zum deutschen Klimaschutzgesetz. Damals hatte das höchste deutsche Gericht geurteilt, dass Teile des alten Klimaschutzgesetzes verfassungswidrig waren. Es bürdete nachfolgenden Generationen eine hohe Emissionsreduktionslast auf. Und schränkt dadurch meine, unsere Freiheit ein – während vorherigen Generationen deutlich größere Teile des CO2-Budgets zugestanden wurden.
Klimaschutz hat Verfassungsrang
Das Ergebnis dieses Beschlusses war die Überarbeitung des deutschen Klimaschutzgesetzes. Neue Zwischenziele für die Reduktion von Treibhausgasemissionen wurden festgelegt. Viel wichtiger aber ist, dass das Verfassungsgericht deutlich gemacht hat: Klimaschutz ist eine Verpflichtung des Staates. Und diese Verpflichtung darf nicht einfach aufgeschoben werden, da sonst eben die Freiheiten von morgen unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Klimaschutz hat seither also Verfassungsrang.
Warum passiert so wenig beim Klimaschutz?
Soweit zu Recht und Theorie. Bei der Umsetzung wird es allerdings schon wieder schwieriger. Denn zwar hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie das Klimaschutzgesetz „noch im Jahr 2022 konsequent weiterentwickeln“ und ein umfassendes Klimaschutzsofortprogramm auf den Weg bringen wolle. Alle Sektoren – Verkehr, Gebäude, Stromerzeugung, Industrie und Landwirtschaft – müssten dazu ihren Beitrag leisten. Passiert ist allerdings… sehr wenig. Ein Klimaschutzsofortprogramm? Gibt es immer noch nicht. Und die Sektoren? Haben erst vor Kurzem ein vernichtendes Urteil des Expert:innenrats für Klimafragen in Bezug auf ihre Umsetzung der Klimaziele bekommen.
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Der Expert:innenrat ist bewertet den Fortschritt der Sektoren. Das Urteil: „Die bisherigen Emissions-Reduktionsraten reichen bei weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele für 2030 zu erreichen – weder in der Summe noch in den einzelnen Sektoren“. Insbesondere die Sektoren Verkehr und Industrie stoßen deutlich zu viele Emissionen aus. Das von Minister Wissing vorgelegte Sofortprogramm für den Bereich Verkehr war sogar so schlecht, dass die Expert:innen es im August im Grunde nicht bewertet hatten – es erfülle die Anforderungen an ein Sofortprogramm nicht.
Große Versprechen, kleine Resultate
Trotz großer Versprechen und Ankündigungen hat die Bundesregierung also nicht geliefert. Die bisherigen Maßnahmen zeigen wenig Ambition. Sie genügen – zum Beispiel im Bereich Verkehr – nicht mal der gesetzlichen Pflicht des Klimaschutzgesetzes. Stattdessen taucht immer wieder die Forderung der FDP auf, die Sektorziele für den Klimaschutz aufzuweichen, also etwa die Minderungsziele für Industrie oder Stromerzeugung. Diese Bilanz ist ernüchternd. Olaf Scholz, Selbstbezeichnung Klimakanzler, wird zum Kummerkanzler. Doch er kann das noch ändern.
Was mein Klimakanzler tun muss
Erstens: Die Sektorziele sind zentral. Sie zeigen transparent und spezifisch, wo wir in den einzelnen Bereichen stehen und wo wir handeln müssen. Sie setzen auf die faire und gemeinschaftliche Umsetzung von Klimaschutz. Und das ist gut so. Denn um 2045 klimaneutral zu werden, müssen wir auch in allen Sektoren ansetzen. Außerdem weisen die Sektorziele klare Verantwortlichkeiten zu. Und sie ermöglichen Nachbesserungen: nämlich über ihre Verpflichtung zu Sofortprogrammen im Falle einer Zielverfehlung. (Mehr zu dem Thema auch in unserem offenen Brief: „Klimaziele werden nicht erreicht, indem man sie abschafft“.)
Zweitens sollte ein Klimakanzler das Klimaschutzgesetz nicht nur beibehalten, sondern sich für dessen Weiterentwicklung einsetzen. Denn momentan wird der Klimaschutz hauptsächlich an „Ex-Post“-Indikatoren gemessen. Also Indikatoren, die sich auf das vergangene Jahr beziehen. Um gerüstet für die Zukunft zu sein, brauchen wir auch „Ex-ante“-Indikatoren. Ein Beispiel: der Fachkräftemangel. Wir wissen jetzt schon, dass wir viel zu wenig Fachkräfte für den Ausbau der Erneuerbaren Energien haben. Das ist ein Indikator dafür, dass wir im Sektor Stromerzeugung ein Problem bei der Umsetzung der Klimaziele bekommen werden. Und dass wir dort nachsteuern sollten.
Drittens würde ein Klimakanzler schnellstmöglich seinen Versprechen nachkommen und ein Klimaschutzsofortprogramm auf den Weg bringen – und zwar ein echtes Klimaschutzsofortprogramm. Dieses müsste den Ausbau erneuerbarer Energien und sauberer Anwendungen und Industrieprozesse beschleunigen, sowie fossilen Projekten endgültig eine Absage erteilen – im Ausland wie in Deutschland. Außerdem braucht es umfassende Investitionen etwa in „Klima-Infrastruktur“, erneuerbare Energiesysteme und die Sanierung besonders ineffizienter Gebäude. So kann der Umbau in Richtung Klimaneutralität ermöglicht werden. Das würde nicht nur dem Wirtschaftsstandort Deutschland guttun, sondern auch ein klares Signal an den privaten Kapitalmarkt senden.
Was also werden der Kanzler und die Bundesregierung tun? Am besten alles. Ich bin jetzt 25. Laut Lebenserwartung einer deutschen Frau habe ich noch um die 55 Jahre Leben vor mir. Damit bin ich ein Teil der Generation, auf die sich das Bundesverfassungsgericht 2021 bezogen hat. Ja, meine Generation wird die Last der Emissionsminderungen, die wir heute nicht unternehmen, tragen müssen. Deswegen brauche ich, alle anderen und die kommenden Generationen jetzt ihn: den echten Klimakanzler.
Der Beitrag Was würde ein Klimakanzler tun? erschien zuerst auf WWF Blog.