Die kunterbunte Welt des Wasserstoffs

Noch basiert Wasserstoff zu 98 Prozent auf fossilen Quellen. Aber das könnte sich ändern. Je schneller, desto besser.

In Lingen im Emsland ging kürzlich eine Pilotanlage zur Produktion von grünem Wasserstoff an den Start.  Es dürfte nicht die letzte Anlage dieser Art bleiben, denn der Run auf den Stoff, aus dem die energiepolitischen Träume sind, steht erst am Anfang.

Dabei ist die Technik, Wasser, durch elektrischen Strom in Sauerstoff und Wasserstoff zu zerlegen und diesen als Energieträger zu nutzen schon ziemlich alt. Die erste Elektrolyse gelang schon 1789. Eine Idee, die schon Jules Verne, den Großvater aller Science Fiction Autoren, inspirierte. In seiner Story „Die geheimnisvolle Insel.“ entwickelte er die Vision vom Wasserstoff als „Kohle der Zukunft“.

Schon Jules Verne träumte davon, Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen. © iStock-GettyImages

Das ist 175 Jahre her, und seitdem hatte sein Traum immer mal wieder Konjunktur. Mal ging es darum, die Abhängigkeit von ausländischen Rohstofflieferanten zu verringern, mal stand der Einsatz in der Raumfahrt im Vordergrund.

Von Klimakrise war zu Jules Vernes Zeiten noch nicht die Rede. Aber spätestens seit die Erderhitzung immer brutaler zuschlägt und sich die Weltgemeinschaft zum Abschied von fossilen Energien verpflichtet hat, wird immer deutlicher, dass in naher Zukunft kein Weg am Wasserstoff vorbeiführt.

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Ein ziemlich bunter Energieträger

Das Problem: Bislang wird der Energieträger zum Großteil mit Strom aus fossilen Quellen produziert. Dieser graue bzw. schwarze Wasserstoff führt nicht zu weniger, sondern zu mehr Emission. Bei so genanntem grünem Wasserstoff aus regenerativen Quellen ist das anders, doch der ist knapp und teuer.

Es gibt den Stoff mit der chemischen Formel H2 aber nicht nur in schwarz, grau oder grün, sondern die Farbpallette ist breiter. Die pinke Variante basiert auf Atomstrom. Sie ist zwar CO2 arm, aber risikoreich, teuer und deshalb kein sinnvoller Baustein für eine Energiewende. Weißen Wasserstoff gibt es auch. Der kommt in natürlichen Lagerstätten vor, ist aber so selten, dass er für die Lösung unserer energiepolitischen Aufgaben wohl keine Rolle spielen wird.

Mit einem Elektrolyseur wird Wasser in seine Bestandteile zerlegt. © picture-alliance-dpa-Rolf-Vennenbernd

Kontrovers diskutiert wird hingegen über blauen Wasserstoff. Der basiert zwar auch auf fossilen Energien, in der Regel auf Erdgas, doch die CO2-Emissionen sollen abgeschieden und unterirdisch gelagert oder weiterverarbeitet werden. CCS  (Carbon Capture and Storage) ist hier das Stichwort. Für den WWF ist das bei der Produktion von Wasserstoff keine Lösung in die knappe, öffentliche Fördergelder investiert werden sollten. Die Lagerung birgt Risiken und infrage kommende Standorte sind begrenzt. Deshalb ist CCS allenfalls etwas für Prozesse, bei denen CO2-Emissionen nicht vermeidbar sind, z.B. bei der Zementherstellung.

Woher kommt der begehrte Stoff

Kurzum: der verstärkte Einsatz von Wasserstoff ist nur sinnvoll, wenn er Hand in Hand mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien geht. Aber auch wenn der Ausbau von Sonne- und Windenergie in Deutschland zuletzt wieder angezogen ist, wird das heimische Potenzial  nicht reichen, um die nationale Nachfrage nach grünem H2 zu decken. In der 2023 überarbeiteten Nationalen Wasserstoffstrategie, rechnet die Bundesregierung damit, dass bis 2030 insgesamt etwa 50 bis 70 Prozent importiert werden muss. Da der Bedarf danach weiter steigen dürfte, ist es nicht verwunderlich, dass der Wirtschaftsminister fleißig durch die Welt tourt, um sich nach potenziellen Lieferanten umzusehen.

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Das birgt weitere Herausforderungen. Das sonnenreiche Nordafrika bietet sich z.B. als Standort für die Produktion von grünem Wasserstoff an. Doch, wo die Sonne kräftig scheint, fehlt es oft an einem anderen Grundstoff: Wasser. Deshalb muss bei all den Lieferverträgen sichergestellt sein, dass die Produktion nicht zulasten der Bevölkerung vor Ort geht und das Wasser an anderer Stelle, z.B. in der Landwirtschaft fehlt. Werden die Interessen der Einheimischen vernachlässigt, droht eine erneute „Tank oder Teller-Diskussion“ wie wir sie vom Einsatz von Biosprit, etwa auf der Basis von Palmöl, bereits kennen. Und auch der Umwelt wäre damit nicht geholfen. Der WWF setzt sich daher für umfassende Nachhaltigkeitskriterien für die Produktion für Wasserstoff und seiner Folgeprodukte ein.

Herausforderung Transport

Ohnehin stellt der Transport des begehrten Stoffes eine nicht unwesentliche Hürde da. Zunächst wird Deutschland beim reinen Wasserstoff wohl auf europäische Partner, etwa auf der iberischen Halbinsel und in Skandinavien setzen. Hier ist ein Transport über Pipelines noch machbar.

Beim Transport von Wasserstoff über weite Strecken gehen Teile des Energieträgers verloren. © IMAGO-ITAR-TASS-Sergei Krasnoukhov

Chile, Australien oder Namibia sind zu weit weg und dürften erst später oder über sogenannte „Wasserstoffderivate“ wie Ammoniak oder Methanol, also Wasserstoffverbindungen, die einfacher zu transportieren sind,  ins Spiel kommen. Zum Transport von Wasserstoff über weite Strecken wären gewaltige Investitionen in die Infrastruktur wie den Transport mit Spezialschiffen nötig. Hinzu kommt, dass dabei viel von dem kostbaren Energieträger verloren geht.

Wasserstoff ist keine Allzwecklösung

Trotz vieler Hindernisse: Wasserstoff wird eine wichtige Rolle bei einer Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft spielen. Aber es bleibt auf absehbare Zeit ein eher teurer und begrenzter Rohstoff. Deshalb wird es vor allem darum gehen, wie man den Stoff, der theoretisch für viele Zwecke einsetzbar wäre, am sinnvollsten nutzt. Der Energieträger ist zwar immer mal wieder als Treibstoff für Autos oder den Betrieb von Heizungen im Gespräch, das lässt sich aber als teure Speziallösung abhaken. Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen sind viel effizienter und kostengünstiger und bleiben in absehbarer Zeit eindeutig die bessere Lösung.

Kann man machen, muss man aber nicht. Als Treibstoff für Pkw ist H2 zu teuer und wenig effizient. © IMAGO-Rupert Oberhaeuser

Grüner Stahl

Für den Wasserstoff bieten sich hingegen der Schiffs- und Flugverkehr sowie die Chemieindustrie an. Ein ganz wichtiges Einsatzgebiet könnte zudem vor allem die Stahlindustrie werden. Die Branche ist in Deutschland für acht Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich.  Der Grund: Bislang wird in den Hochöfen Koks als so genanntes Reduktionsmittel verwendet, um die extrem hohen Temperaturen für die Produktion zu erzeugen. Dabei entstehen große Mengen CO2. Die Kohle direkt durch erneuerbare Energien zu ersetzen, ist technisch nicht machbar. Mit so genannten Direktreduktionsanlagen ließen sich die CO2-Emissionen massiv reduzieren. In einem solchen Verfahren wird das Eisen mit grünem Wasserstoff hergestellt. Der bindet den Sauerstoff aus dem Eisenerz und hinterlässt nur Wasser als Abfallprodukt. Erste Pilotanlagen werden bereits von Salzgitter, Thyssenkrupp und ArcelorMittal betrieben. Die neuen Anlagen sind sehr kostspielig. Daher wird es ohne öffentliche Förderungen wohl nicht gehen, um eine Transformation im Stahlsektor anstoßen und Risiken für die Unternehmen zu mindern.

Alles in allem: Es tut sich was in Sachen H2. Wasserstoff bietet große Chancen, wenn Rahmenbedingungen stimmen. Viele Fragen sind noch offen, aber Jules Vernes Vision von einer Wasserstoffwirtschaft nimmt konkretere Züge an.

Mehr zum Thema

Mehr Informationen zum Thema Wasserstoff haben wir in einem kostenfreien Online-Kurs „Wasserstoff für Energiewende und Klimaschutz – Power-to‑X“ in der WWF Akademie aufbereitet. 10 Expert:innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft geben

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Fast real – mit Virtual Reality dem Wasserstoff auf der Spur

Du bist in einem Innenhof in der Großstadt: Alles wirkt sehr futuristisch, blühende Pflanzen schlängeln sich an den Häuserwänden entlang. Solarpaneele blitzen zwischen den Grünflächen. Über den Dächern dreht sich ein Windrad, die Vögel zwitschern. Du genießt die Wärme und blinzelst in die Sonne. Eine energische junge Frau läuft mit schnellen Schritten nur wenige Zentimeter an dir vorbei. Sie entdeckt dich und lädt dich ein, mitzukommen.

Das ist die Zukunft – und du bist mittendrin

Es ist das Jahr 2045, die junge Frau ist die Wasserstoffexpertin Alex. Diese Szene im Hof ist der Anfang unserer Virtuellen Realität zum Thema Power-to‑X.

Gemeinsam mit mehreren Partner:innen haben wir im Rahmen des Kopernikus-Projektes P2X ein digitales Lernmodul sowie eine Virtual Reality (VR) Experience entwickelt. P2X, kurz für Power-to‑X, steht für die Umwandlung von Strom (Power) aus erneuerbaren Energiequellen in andere Stoffe. Beziehungsweise die Nutzung in einer Vielzahl von Anwendungen (X). Dadurch kann erneuerbarer und somit klimafreundlicher Strom zum Beispiel auch in den Bereichen Verkehr (über Elektromobilität) oder Wärmeversorgung (über Wärmepumpen) eingesetzt werden. 

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Bei der Umwandlung des Stroms steht ein Gas im Zentrum, über das schon länger viel geredet wird: Wasserstoff. Grüner Wasserstoff wird durch erneuerbaren Strom und Wasser hergestellt und hilft, Industrieanwendungen zu defossilisieren (um fossile Energieträger zu ersetzen) und zu dekarbonisieren (mit CO2 Emissionen einzusparen).

Wenn es beim Wasserstoff kompliziert wird

Doch wie funktioniert eigentlich diese Umwandlung genau? Wofür sollte man Wasserstoff einsetzen und wofür nicht? Und wie kann das alles zur Erreichung unserer Klimaziele beitragen?

Wenn es ins Detail geht wird es beim Wasserstoff knifflig. Und genau deswegen haben wir die Virtual Reality Experience entwickelt. Spielerisch kann man sich den Chancen und Risiken von Power2X nähern. Ob jung oder alt, ob Vorwissen oder Wasserstoff-Neuling: Ich bin mir sicher es lohnt sich für alle. Macht einfach Spaß. Und es gibt jede Menge zu lernen.

Mit Alex in der Virtual Reality

Virtual Reality p2X Labor Wasserstoff WWF
Im Labor der Zukunft mit Alex und dem etwas schrägen Professor @ WWF

Gemeinsam mit Alex besuchst du sieben Stationen: Vom Hof geht es ins Labor zum etwas schrägen Professor Paracelsus. Dort lernt man, wie ein Wassermolekül aufgespalten wird und der entstehende Wasserstoff mittels Synthesegas zu Kraftstoff weiterentwickelt wird. Weiter in der Station „Farbenlehre“ erfährst du, was es mit grünem, blauem, oder grauem Wasserstoff auf sich hat. Spoiler: Nur den grünen, der vollständig auf Erneuerbaren Energien basiert, finden wir gut.

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In den Sektoren Verkehr und Industrie entdeckt man, wo und wie genau P2X eingesetzt werden kann – und wo nicht. Beispielsweise Autos können direkt elektrifiziert werden und benötigen deswegen keine aufwendig hergestellten synthetischen Kraftstoffe. Langstreckenflüge oder der Schwerlastverkehr dagegen lassen sich nicht so einfach mit Strom betreiben. Hier ist der Einsatz von mit P2X hergestellten Kraftstoffen sinnvoll. In der Chemie wiederum können P2X-Prozesse beispielsweise zur Herstellung von Kunststoffen genutzt werden. Und bei der Stahlherstellung statt Koks zur Reduktion von Eisenoxid im Produktionsprozess.

In der letzten Station geht es dann noch um die Sektorenkopplung. Auch bei der Verknüpfung und Elektrifizierung von Strom, Wärme, Industrie und Verkehr benötigen wir Wasserstoff. Denn Erneuerbare Energien produzieren weniger gleichmäßig Strom als etwa große Kohlekraftwerke. Wind und Sonne richten sich nicht nach unserer Nachfrage, sondern scheinen – oder wehen – je nach Wetter. Hier kann Wasserstoff als Energiespeicher genutzt werden: Überschüssiger Strom kann so gespeichert und bei Bedarf wieder freigegeben.

VR on Tour

Virtual Reality p2x Wasserstoff WWF
Unsere Virtual Reality kann man auch besuchen © WWF

Zum Schluss nimmt hoffentlich jeder neue Erkenntnisse wieder zurück ins Jahr 2022. Zu klären bleibt aber natürlich noch, wie man die Reise überhaupt antreten kann: Die Virtual Reality geht auf Tour und wird an verschiedenen Orten zu erleben sein. Falls du selber eine HTC Focus Vive 3 Brille besitzt, kannst du die Anwendung aber auch bald herunterladen und zuhause nutzen. Das geht auch ohne VR-Brille in einer PC-Version. Infos gibt es dazu auf unserer Website.

Das E‑Learning „Wasserstoff für Energiewende und Klimaschutz – Power-to‑X“

Die Inhalte der VR wurden zudem in E‑Learning überführt. In zwölf Lerneinheiten vermitteln namenhafte Expert:innen anschaulich den aktuellen Wissenstand zu P2X-Technologien. Das E‑Learning ist über unsere WWF-Akademie kostenlos. Die WWF Akademie ist ein virtueller Ort des Lernens, dialogisch und für alle zugänglich. Mit dem Kursangebot zu Themen wie Klima oder Naturverbindung kann jede:r lernen in den Grenzen unseres Planeten zu leben und die Transformation in eine nachhaltige Zukunft aktiv mitzugestalten.

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Acht Gründe gegen die Weiternutzung der Atomkraft

Hilft uns Atomkraft über den Winter? Wir sagen: Nein. Und wir haben gute Gründe, die gegen jede verlängerte Nutzung von Atomkraft in Deutschland sprechen.

Fraglos: Durch den russischen Angriffskrieg befinden wir uns in einer veränderten energiepolitischen Situation. Deutschland muss die Abhängigkeit von russischen fossilen Energieträgern so schnell wie möglich beenden. Wir erleben stark ansteigende Gas- und Energiepreise, eine große Verunsicherung in der Bevölkerung und der Industrie sowie die Sorge vor drohenden Energieengpässen. Um Energieknappheit vorzubeugen, werden bereits stillgelegte Kohlekraftwerke übergangsweise wieder ans Netz genommen.

Verschiedene Parteien und Akteure fordern nun auch noch eine Laufzeitverlängerung der drei sich noch am Netz befindenden deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland.

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Hier sind die besten Gründe, warum eine verlängerte Nutzung der Atomkraft Quatsch ist und auf welche anderen Lösungen Deutschland stattdessen setzen sollte.

1.) Atomkraft kann Gas kaum ersetzen

Erdgas wird zum größten Teil zur Wärmerzeugung genutzt und kann damit nicht ohne weiteres durch Atomstrom ersetzt werden. Insgesamt könnte lediglich etwa ein Prozent des russischen Gases durch den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke eingespart werden. Deswegen wäre der Beitrag einer AKW-Laufzeitverlängerung zur Energieunabhängigkeit extrem gering.

2.) Es bleibt dabei: Atomkraft ist gefährlich

Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie. Das zeigt sich nicht zuletzt am ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. Auch in Frankreich wurden in den letzten Monaten mehrere Atomkraftwerke wegen Sicherheitsbedenken vom Netz genommen. Atomkraftwerke müssen umfassend und regelmäßig überprüft werden. Die letzte große periodische Sicherheitsprüfung der deutschen Atomkraftwerke hat 2019 jedoch nicht mehr stattgefunden – mit der Begründung des baldigen Endes ihrer Laufzeit. Für einen Weiterbetrieb der Anlagen über das Jahr 2022 hinaus wäre eine neue Sicherheitsprüfung zwingend. So eine Überprüfung kann nicht mit einem kurzen Gutachten, wie kürzlich vom TÜV Süd veröffentlicht, abgetan werden. Eine verkürzte Sicherheitsüberprüfung wäre dagegen ein entscheidendes Sicherheitsrisiko für Deutschland.

3.) Atomkraft bringt uns nicht mehr Energie

Die Brennelemente in zwei der AKWs sind auf das Ende ihrer Laufzeit in 2022 ausgelegt. Die Beschaffung neuer Brennelemente könnte mindestens ein Jahr dauern. Alternativ können die verbleibenden Atomkraftwerke in einen sogenannten „Streckbetrieb“ gehen, in dem die Brennstäbe etwas länger genutzt werden. Allerdings muss hierfür ihre Leistung senken. Mit einem solchen Streckbetrieb könnten die Atomkraftwerke bis ins Frühjahr 2023 betrieben werden, würden insgesamt in der Summe allerdings nicht mehr Strom produzieren als im Betrieb bis Ende 2022. Es würde sich somit lediglich um eine zeitlich verschobene Stromproduktion handeln. Ein gewinnbringender Mehrwert ist nicht gegeben.

4.) Atomkraft braucht Gesetzesänderung

Die Atomkraftwerke müssen laut Atomgesetz bis Jahresende 2022 ihren Betrieb beenden. Für die verlängerte Nutzung braucht es eine Gesetzesänderung. Ein Weiterbetrieb käme einer Neugenehmigung durch den Bundestag gleich. Für diese Genehmigungen muss eine öffentliche Konsultation stattfinden sowie neue wissenschaftliche Gutachten erstellt werden. Unter (verfassungs-)rechtlichen Gesichtspunkten erfordert eine Laufzeitverlängerung eine neue, umfassende Risiko- und Güterabwägung des Gesetzgebers. Dies sind zum Teil sehr langwieriger Prozesse.

Einen guten Ort für den Atommüll gibt es nicht. © IMAGO / imagebroker

5.) Weiter ungeklärt: Was passiert mit dem Atommüll?

Bis 2031 muss laut Gesetz ein Endlager-Standort gefunden sein. Das hält aber nicht nur der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung Wolfram König jedoch für unrealistisch. Alle bisherigen Zwischenlager haben nur zeitlich begrenzte Sicherheitsgarantien. Die radioaktiven Abfälle bedeuten große gesamtgesellschaftlichen Kosten — und Risiken. Das Problem wird durch eine Laufzeitverlängerung nur größer, die Kosten werden auf kommende Generationen abgewälzt.

6.) Atomstrom ist eben nicht ökologisch

In der gesamten Wertschöpfungskette von Atomstrom wird eine erhebliche Menge Energie benötigt, zum Beispiel beim Uranabbau und der Atommüllendlagerung. Atomkraft ist also keineswegs CO2- neutral. In Frankreich werden die schädlichen Umweltauswirkungen von Atomreaktoren gerade an der kritischen Kombination mit der Erderhitzung deutlich: Während der stark zunehmenden Hitzewellen müssen die französischen Atomreaktoren stärker gekühlt werden. Dies geschieht mit dem Wasser aus bereits hitzegeplagten Flüssen, die sich dadurch noch weiter aufheizen und stärker austrocknen – mit gravierenden Folgen für das gesamte Ökosystem.

7.) Atomkraft ist zu teuer

Die enorm hohen gesamtgesellschaftlichen Kosten liegen im Bau der Kraftwerke und bei der Entsorgung und Endlagerung des Atommülls. Gerade bei einer kurzfristigen Verlängerung der AKW-Laufzeiten sind die hohen Kosten nicht zu rechtfertigen. Die erneuerbaren Energien bilden schon heute eine sichere und günstigere Alternative für die Stromproduktion. Oberste Priorität sollte daher ganz klar auf den schnellen Ausbau der Erneuerbaren liegen.

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8.) Es gibt umweltfreundlichere, sichere und günstigere Alternativen

In Europa ging die Erzeugung von Atomstrom von 2005 bis 2020 um ein Viertel zurück. Und auch weltweit wurden seit 2000 kaum neue Kraftwerke gebaut. Stattdessen stieg die installierte Leistung von Windenergie und Photovoltaik deutlich an. In der EU wurden seit der Jahrtausendwende 167 Gigawatt Windenergieleistung und knapp 150 Gigawatt PV-Kapazität zugebaut. Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise muss das noch deutlich, deutlich verstärkt werden. Aber klar ist: Erneuerbare Energien sind die zukunftsfeste, sichere und klimafreundliche Alternative zur Energiegewinnung. Auch jetzt müssen wir konsequent darauf setzen.

Wie immer man es auch wenden mag: Atomkraft kann keinen relevanten Beitrag zur Überbrückung der aktuellen Energiekrise leisten. Zahlreiche praktische, sicherheitsrelevante, finanzielle, rechtlich und politische Faktoren sprechen gegen einen Weiterbetrieb der Atomkraft. Gerade angesichts der nur sehr geringen Mengen an Atomkraft, die kurzfristig keinen relevanten Beitrag zur Überbrückung der Energiekrise leisten kann, muss der Schutz vor der Radioaktivität Priorität haben. Stattdessen sollte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und anderen Ländern darlegen, wie Energiesparmaßnahmen und erneuerbare Energien langfristig zu einer klimaneutralen Zukunft beitragen können — ohne radioaktiven Müll zu erzeugen.

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Warum die Atomkraft in Deutschland keine Zukunft haben kann

Die Atomkraft gehört der Vergangenheit an. Ende 2022 gehen in Deutschland die letzten drei Kernkraftwerke vom Netz. Eigentlich sollte damit zumindest hierzulande ein Kapitel eines energiepolitischen Irrweges enden. Eigentlich.

Doch mit dem Krieg in der Ukraine und dem Streit ums russische Gas mehren sich die Stimmen, die den nuklearen Zombie auch hierzulande wieder zum Leben erwecken wollen. Ihr Argument: Warum nicht das russische Gas durch scheinbar CO2 arme Kernkraftwerke ersetzen? Auf ein paar Jahre länger komme es schließlich nun auch nicht mehr an …

Atomkraft Uran in russischem Bergwerk
Und wo kommt das Uran her? Wo die Brennstäbe? © IMAGO / ITAR-TASS

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Das mag auf den ersten Blick wie ein pragmarischer Ansatz wirken. Es hält allerdings einer genaueren Überprüfung nicht stand. Das Öko-Institut hat die energiepolitische Situation genauer unter die Lupe genommen und kommt zu dem klaren Urteil, dass eine Laufzeitverlängerung uns nicht aus der fossilen Falle befreien kann.

Die Gründe sind vielschichtig — und ganz praktisch

Ich will sie mal stichpunktartig zusammenfassen:

  1. Anders als Atommeiler, die bekanntlich Strom produzieren, werden rund 80 Prozent des aus Russland importierten Gases für die Wärmeversorgung eingesetzt. Auch Kraft-Wärme-Kopplung, also die gleichzeitige Nutzung von Strom und Wärme, ist mit den nuklearen Großanlagen nicht möglich.
  2. Blieben noch 20 Prozent der Gasimporte für die Stromproduktion, die sich durch Atommeiler theoretisch ersetzen ließen. Doch auch diese Alternative existiert nur auf dem Papier. Denn das Gas wird vor allem in Anlagen genutzt, die nicht permanent laufen. Gaskraftwerke springen flexibel ein, wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint und gleichen mögliche Stromlücken kurzfristig aus. Kernkraftwerke können das nicht. Sie lassen sich nicht mal eben hoch und runterfahren und sind deshalb als Lückenfüller ungeeignet. Je höher der Anteil an Erneuerbaren Energien im Netz ist, desto wichtiger ist jedoch die Regelbarkeit der einzelnen Stromerzeuger. Es braucht mehr sogenannte „Flexibilitäten“ – also Abnehmer, wenn besonders viel Strom aus erneuerbaren Quellen angeboten wird, sowie Speicher, die flexibel Strom in das Netz einspeisen, wenn nur wenig Wind oder Sonne zur Verfügung stehen. Auch deshalb sind Atomkraftwerke völlig aus der Zeit gefallen.
  3. Selbst wenn man Sicherheitsaspekte, Haftungsrisiken, mangelnde Ersatzteile, fehlendes Fachpersonal und rechtliche Fragen ausklammert: ein Weiterbetrieb der Reaktoren scheitert schon an fehlenden Brennelementen. Die reichen noch bis zum 31.12.2022. Die Neubeschaffung dauert rund zwei Jahre. Und wäre sehr teuer. Darüber hinaus sei an dieser Stelle angemerkt, dass wir nicht nur Gas und Öl aus Russland importieren, sondern auch Uran.

Kurzum: Das Aus der Kernkraftnutzung in Deutschland ist absehbar. Und das ist auch gut so. Putins Krieg wird daran nichts ändern. 

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Wie raus aus der Abhängigkeit vom russischen Gas?

Deutschland sitzt in der Falle der fossilen Abhängigkeit. Verdeutlicht nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Wie kommen wir da raus?

Gas, Öl, Kohle und Uran – hier sind Deutschland und die Europäische Union von Russland abhängig. Die EU überweist Tag für Tag bis zu einer Milliarde Euro an Gazprom, Rosneft und Co. Und finanziert so indirekt die russischen Devisenkassen. Also einfach nicht mehr in Russland kaufen? So einfach ist es mal wieder nicht.

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Deutschland könnte bis 2027 auf nahezu alle russischen Importe und damit auf bis zu ein Fünftel der Gasimporte generell verzichten, schätzt die Denkfabrik Agora Energiewende. Dazu sind aber weitreichende Maßnahmen nötig.

Was schnell hilft: Sparen!

Es ist ganz klar: ein Bereich mit sehr großem Potential wurde viele Jahre lang brachliegen gelassen: die Energieeffizienz beziehungsweise die gesamtwirtschaftliche Effizienz. Zu Deutsch: das Einsparen. Das müssen wir jetzt als erstes machen. Jede nicht verfeuerte Kilowattstunde an fossiler Energie entlastet die Energieversorgung im kommenden Winter.

Der größte Teil des deutschen Erdgasverbrauchs geht in unsere Heizungen. Diese hängen zu oft noch an den Wänden ungedämmter Häuser unter zugigen Fenstern. Für kurzfristig wirksame Ergebnisse bräuchte es Verhaltensänderungen bei Verbrauchern, Gewerbe und Industrie. Die Absenkung der Raumtemperatur brächte, wenn flächendeckend durchgeführt hohe Ersparnisse.

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Dazu könnten gasabhängige Industrieprozesse zurückgefahren werden. Eine jetzt mit Nachdruck gestartete Sanierungsoffensive für die Bausubstanz und ein schnelles Tauschprogramm fossiler Heizungen gegen Wärmepumpen würde hier mittelfristig helfen. Schon bis zum nächsten Winter.

Wie beim Heizen sparen?

Die Elektrifizierung von Heizungen und Autos ist langfristig der Schlüssel zur Halbierung des gesamten Energieverbrauchs. Elektrische Anwendungen sind deutlich sparsamer als die Verbrennung von Gas und Öl in Heizkesseln und Motoren. Dafür braucht es aber mehr erneuerbaren Strom.

Was mittelfristig hilft: Endlich Erneuerbare Ausbauen!

Auch die bisher hartnäckigsten Gegner der Energiewende in der Bundesregierung haben in der Konsequenz des Ukrainekrieges erkannt. Sonne, Wind und Wasserkraft sind eben „Freiheitsenergien“, die rasant ausgebaut werden müssen. Die Erkenntnis ist genauso überfällig wie richtig. Sie wird uns aber nicht in wenigen Monaten unabhängig von fossiler Energie machen.

Hier rächt sich, dass die Vorgängerregierungen durch das Festhalten an fossilen Energieträgern die Energiewende ausgebremst, den Zusammenbruch der deutschen Solarindustrie nicht verhindert haben und bei der Windkraft aufgrund seit Jahren Flaute herrscht. Bis also die „Freiheitsenergien“ Deutschland komplett versorgen können, werden also noch einige Jahre ins Land gehen.

Schneller als beim Gas könnte es beim Öl gehen

Hier könnten mittelfristig eine Reihe anderer OPEC Länder von Saudi-Arabien bis Venezuela einspringen. Darüber hinaus stehen eine Reihe von verkehrspolitischen Maßnahmen bereit, die sofort wirken. Von Tempolimit zu autofreien Wochenenden oder die Verlängerung der Home-Office Pflicht. Mittelfristig gilt es die Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr auf Busse und Bahnen ebenso wie die Elektrifizierung des Sektors schneller als bisher voranzutreiben.

Was nicht hilft: Tankrabatt

Neuwagen Stoßstange an Stoßstange
Wir brauchen weniger Autos © roibu/iStock/Gettyimages Plus

Angesichts der steigenden Energiepreise wird nicht nur in Deutschland über eine Entlastung der Verbraucher:innen debattiert. Ausgerechnet der liberale Finanzminister Christian Lindner brachte einen staatlichen Tankrabatt ins Spiel. Das wäre sozusagen die erneute Subventionierung von „Unfreiheitsenergien“. Dies freut zwar die Autofahrer, bedeutet aber vor allem das Festhalten an fossilen Abhängigkeiten und Ankurbeln des Verbrauchs. Den es eigentlich zu reduzieren gilt.

Ein sozialer Ausgleich für die rasant gestiegenen Energiepreise sollte deshalb nicht über die direkte Subventionierung oder Deckelung der Preise geschehen. Schon jetzt wird der Haushalt mit über 65 Milliarden Euro umweltschädlichen Subventionen pro Jahr belastet. Geld, das an anderer Stelle für die Transformation der Wirtschaft fehlt.

Eine gezieltere und sozial gerechtere Entlastung könnte beispielsweise über Pro-Kopf-Rückerstattungen in Form von Klima- und Mobilitätsgeldern erfolgen — ergänzt um eine Zusatzprämie, die sich an der Höhe der Einsparmaßnahmen orientiert.

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